Sarina Salehi hat hohe Ziele. Weil olympisches Ringen im Iran für sie als Mädchen verboten ist, flüchtete ihre Familie mit ihr nach Deutschland. Hier trainiert das Jungtalent für ihren großen Traum.
Sie weiß, was sie will. Sarina Salehis Entschlossenheit liegt in jedem ihrer Worte. "Ich möchte Weltmeisterin werden und bei Olympia eine Medaille gewinnen", sagt sie im Gespräch mit der DW. Umso bemerkenswerter, weil die junge Ringerin erst 14 Jahre alt ist. Doch sie weiß: Worte allein bringen nichts im Kampfsport. Was zählt, ist Anstrengung und Schweiß, der auf die Ringmatte tropft.
Sechsmal in der Woche trainiert Salehi inzwischen beim KSV Germania Krefeld - Kraft, Kondition und Technik. "Beinangriff und Durchdreher" seien ihre Spezialität, berichtet sie. Damit bezwang sie kürzlich auch schon die amtierende Europameisterin ihrer Altersklasse. Dennoch ist ihre sportliche Zukunft ungewiss. Denn als ringende Iranerin sitzt sie zwischen allen Stühlen.
Flucht aus dem Iran
Aufgewachsen ist Salehi in Baneh im Nordwesten des Iran, als Teil der kurdischen Minderheit im Land. Ihr Vater Soran ist selbst erfolgreicher Ringer. Eine Leidenschaft, die auch seine Tochter früh für sich entdeckt.
"Freistilringen ist Mädchen und Frauen im Iran aber wegen der Schleierpflicht verboten", erzählt der Vater. Sarina weicht auf Karate aus und gewinnt in ihrer Altersklasse bei den westiranischen Meisterschaften. Doch Ringen darf sie nicht.
Das befeuert den Entschluss ihrer Eltern: 2019 reisen sie über die Türkei nach Griechenland und beantragen Asyl in der EU. Auf dem Balkon ihrer griechischen Unterkunft trainiert Salehi mit ihrem Vater. Erstmals kann sie ihrem Sport auch in einem Verein nachgehen. "Als ich zum ersten Mal die Ringmatten in einer Halle gesehen habe, war ich total fasziniert", berichtet sie.
Eine Faszination, die viele Frauen und Mädchen im Iran teilen, denen aber eine olympische Karriere im Ringen verbaut bleibt. Erst nach langem Druck erlaubte das Regime in Teheran 2015 die Disziplin "Alish", sogenanntes Gurtringen, bei dem die Sportlerinnen im Ganzkörperanzug gegeneinander antreten und das vor allem in muslimischen Ländern ausgeübt wird.
Irans Frauen-Nationalteam holte auf Anhieb den WM-Titel 2019 und räumt auch danach international ab. Rasul Khadem, zu diesem Zeitpunkt Präsident des iranischen Ringerverbands, kommentierte den Erfolg so: "Der Ringsport ist für iranische Frauen viel mehr als nur Ringen. Es ist der Widerstand und Kampf gegen unbelehrbare Einstellungen. Der Erfolg der iranischen Ringerinnen trotz ihrer noch jungen Aktivität in dieser Sportart ist ein lauter Schrei mit der Botschaft: 'Wir können, wir können, wir können!' ".
Wenig später verlor Khadem sein Amt. Für Mehdi Jafari Gorzini, Vorstandsmitglied beim ASV Mainz 88, dem aktuellen Deutschen Mannschaftsmeister im Ringen, lässt sich am hochpopulären Ringsport im Iran die Diskriminierung von Frauen ablesen. Der Politiker floh einst selbst aus der islamischen Republik. "Die Erlaubnis für 'Alish' dient nur als Ausweichmanöver, um die heftigen Proteste im Land ein wenig zu beruhigen", sagt Gorzini der DW.
Hohe Hürden für Kämpferin Salehi
Sarina Salehi verfolgt die Geschehnisse im Iran, die anhaltenden Proteste ebenso wie den Umgang mit Frauen und Mädchen im Ringsport. "Ich sehe viel von dem, was dort passiert. Man wird echt traurig. Die Situation im Iran ist nicht gut."
Gleichzeitig kämpft sie in Deutschland für ihren eigenen Traum. "Es ist schwierig für sie und für uns", sagt Hans-Georg Focken, ihr Trainer beim KSV Germania Krefeld. "Sie hat keine Chance, für den Iran zu starten. Und weil sie keinen deutschen Pass hat, kriege ich sie auch nicht in einen der hiesigen Auswahlkader."
Ein Dilemma. Zwar hat Salehi schon Erfolge auf internationalen Turnieren vorzuweisen. Für deutsche Meisterschaften ist sie aber nicht startberechtigt, ebensowenig bei Europa- oder Weltmeisterschaften. "Das Flüchtlingsteam, das vom DOSB (Deutscher Olympischer Sportbund) unterstützt wird, wäre eine Möglichkeit", so Focken, doch es sei extrem schwer, es in das Team zu schaffen. Salehi sei dafür auch noch etwas zu jung.
Doch Ringerinnen sind zäh. Salehi hofft darauf, dass auf die Duldung ihrer Familie in Deutschland bald die deutsche Staatsangehörigkeit folgt. Jenseits der Matte stünde ihrer sportlichen Karriere dann nichts mehr im Wege. Im Sport will sie bis dahin auch weiter dazulernen.
"Vom Ehrgeiz und ihrer Physis her ist sie top", sagt Trainer Focken über sie, "aber es fehlen auch noch grundsätzliche Dinge. Beispielsweise die Cleverness, wie ich einen Kampf gegen verschiedene Gegnerinnen gestalte und gewinne." Um sich weiter zu verbessern, ist die 14-Jährige in Krefeld in besten Händen. Schließlich holte Aline Rotter-Focken, die Tochter des Trainers, 2021 in Tokio als erste Deutsche Olympiagold im Ringen. Der Verein müht sich, Salehi das Fundament für eine ähnliche Karriere zu ermöglichen. Sie selbst würde es irgendwann gerne zurückzahlen. Mit Leistung und - wenn es klappt - mit Edelmetall.
Von Jens Krepela (Mitarbeit: Farid Ashrafian)
Zweitveröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Deutschen Welle
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