Düzen Tekkal gehört zu den bekanntesten Iran-AktivistInnen in Deutschland. Ein Interview mit der Politologin, Menschenrechtsaktivistin und Gründerin der Menschenrechtsorganisation HÁWAR.help anlässlich ihres neuen Buchs „Die mutigen Frauen Irans“ (hier gibt es eine Leseprobe).
Düzen Tekkal (Foto: Richard Pflaume, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons)
Wie schätzen Sie die aktuelle Situation ein: In welcher Phase sind die Proteste, bzw. ist diese revolutionäre Bewegung aktuell?
Der Politologe und Iran-Experte Ali Fathollah-Nejad beschreibt es sehr gut: Wir haben es mit einem langfristigen Prozess zu tun, in dem auch einmal Phasen der Ruhe eintreten können. In den Wintermonaten gab es weniger laut- oder massenstarke Proteste, was aber nicht bedeutet, dass der Gesamtprozess zum Erliegen gekommen ist. Momentan ist die iranische Währung, der Tooman, im freien Fall, was für Spannungen sorgt. Viele Menschen wissen nicht, wie sie finanziell über die Runden kommen sollen. Die Mittelschicht ist über die Jahre hinweg erodiert. Die Giftgas-Anschläge auf Mädchenschulen der letzten Monate sind ein weiterer Faktor, der die Menschen gegen das Regime aufbringt. Viele IranerInnen gehen davon aus, dass die Regierung voll informiert ist, wer hinter den Anschlägen steckt. Das ist nicht unwahrscheinlich, denn in jeder Schule des Landes gibt es mindestens einen Mitarbeiter des Geheimdienstes. Kürzlich wurden erste Verdächtige festgenommen. Sie werden der Öffentlichkeit als „konter-revolutionäre Elemente“ präsentiert. Damit ist die islamische 1979er-Revolution gemeint, der Gründungsakt der Islamischen Republik. Auf ihr ist die herrschende Staats-Doktrin aufgebaut. Die aktuelle Iran-Revolution wird vom Regime stets als von „Feinden der Republik“ gelenkt dargestellt. Damit sind stets die USA und Israel gemeint. Aber diese Propaganda verfängt bei den Menschen immer weniger.
„Die Diaspora-Dissidenz ist gespalten. Ich hoffe, dass zeitweilig diese Differenzen beiseite gelassen werden können“
Anders als viele andere große Proteste und Revolutionen geht diese primär auf den Aufstand von Frauen zurück. Was treibt die Frauen aus dem Iran, mit denen Sie gesprochen haben, an, solch hohe Risiken einzugehen?
Die Frauen sind die 44-jährige Geschlechter-Apartheid im Land satt. Sie sind es leid, Bürgerinnen zweiter Klasse zu sein. Am 8. März 1980 waren ihre Großmütter auf den Straßen mit dem Slogan „Die Freiheit ist nicht westlich oder östlich. Sie ist universell.“ Es ist, als sei der Geist ihrer Großmütter in die Enkelinnen gefahren. Auch viele Männer stellen sich hinter die protestierenden Frauen – vor allem jüngere. Sie sind ebenfalls unzufrieden mit dem status quo, der die Geschlechterverhältnisse auf ungleiche Weise zementiert.
Die Frauen, mit denen ich sprach, eint der Gedanke, dass ein Leben in Unfreiheit nicht lebenswert ist. Sie sind bereit, ihr bisheriges Leben in Unfreiheit für die Freiheit (und künftige Generationen) aufs Spiel zu setzen.
Hierzulande – sowohl in Deutschland als auch anderen westlichen Ländern – wird das Thema Iran in den Medien immer stärker überlagert von anderen Themen wie dem Ukraine-Krieg. „Dass die Tragweite der revolutionären Bewegung im Iran medial nicht wahrgenommen wird, liegt nicht zuletzt an uns, der sogenannten Diaspora. Zeigte sie sich im Herbst des vergangenen Jahres noch geeint, treten die ideologischen Unterschiede nicht zuletzt seit dem aktiveren Auftreten von Reza Pahlavi offen hervor“, schreibt etwa der Aktivist Bardia Razavi. Hat er recht? Oder was sind die wesentlichen Ursachen?
Über die Wintermonate ist in der Tat die Berichterstattung in den Medien hierzulande abgeflaut. Das hat zum Einen damit zu tun, dass es weniger Proteste in Iran gab. Die „starken Bilder“ fehlten, die Redaktionsstuben wendeten sich anderen, weniger Recherche-intensiven Themen zu. Das hat mit der Medienökonomie zu tun. Razavi hat insofern Recht in seiner Analyse, dass die Diaspora-Dissidenz gespalten ist. Ich persönliche hoffe, dass zeitweilig diese Differenzen beiseite gelassen werden können – es geht darum, mit vereinten Kräften gegen das Mullah-Regime zu kämpfen. Aggressive innere Kämpfe innerhalb der Freiheitsbewegung schwächen die Opposition und das spielt den Falschen in die Hände.
„Die anti-israelische Rhetorik muss maximal ernst genommen werden“
In der Politik hat die EU die Aufnahme der Revolutionsgarden auf die Terrorliste verweigert. EU-Chefdiplomat Josep Borrell möchte weiterhin das Atomabkommen reinstallieren. Interessiert sich die europäische Politik nicht genug für das Schicksal der IranerInnen?
Ich würde nicht sagen, dass die europäische Politik das Thema nicht interessiert. Es werden aber die falschen Prioritäten gesetzt. In der Vergangenheit hat sich gezeigt: Je mehr der Westen Schritte auf das Regime zugemacht hat und auf Diplomatie gesetzt hat, desto aggressiver hat dieses seine Politik nach Innen und Außen weiter verfolgt: Erhöhte Aktivität im Ausland, in Syrien und in Irak und im Libanon etwa. Nach Innen durch Verschärfungen des Kopftuchzwangs und der Unterdrückung jeglicher Opposition. Die Anreicherung waffenfähigen Urans ging untergründig immer weiter, trotz des Atomabkommens. Wir sollten nicht vergessen, dass das Mullah-Regime den Anspruch hat, sein Modell des „Gottesstaates“ in die Welt zu tragen – und den erklärten Erzfeind Israel mit einem Atomschlag von der Landkarte zu fegen. Die anti-israelische Rhetorik muss maximal ernst genommen werden.
Was ist Ihre Prognose: In welche Richtung wird sich Iran bzw wird sich der Aufstand in den kommenden Monaten entwickeln?
Das Regime ist zu keinerlei Konzessionen gegenüber der Bewegung für „Jin – Jiyan – Azadi“ bereit. Es hat nur die Option, weiter gewaltsam gegen die Revolutionäre vorzugehen. Damit isoliert es sich auch weiter international, da es immer mehr Verbrechen begeht, um an der Macht zu bleiben. Es versucht dem mit propagandistischen „red herring“- und Nebelkerzen-Strategien beizukommen. Leider auch zum Teil erfolgreich. Oftmals werden diese Verlautbarungen, die den Anschein haben, dass das Regime gesprächsbereit und „vernünftig“ ist, unkritisch von westlichen Medien übernommen: So etwa die angebliche „General-Amnestie“ für alle, die sich an den „Jina“-Protesten beteiligt haben und verhaftet wurden. Oder das angebliche Vorhaben, die Gasht-e-Ershad, die so genannte „Sittenpolizei“, die für den Tod von Jina Mahsa Amini verantwortlich ist, aufzulösen. Es zeigen sich aber erste Risse im Machtapparat. Vor einigen Tagen berichtete das Exil-Medium „Iran-International“ von geleakten Regierungsdokumenten, die einen wachsenden Unwillen unter Revolutionsgardisten und den Basijis, den paramilitärischen Schlägertruppen, beklagten, gewaltsam gegen Protestierende vorzugehen. Auch sollen einige führende Angehörige der Revolutionsgarden bereits Vermögen ins Ausland gebracht haben. Das kann durchaus als Erfolg der revolutionären Proteste gesehen werden.
„Das Oppositionsbündnis repräsentiert keineswegs alle Menschen, die sich einen neuen Iran wünschen. Aber es ist ein Anfang“
Bekannte iranische Regimegegner wie der frühere Kronprinz Reza Pahlevi, die Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi, die Frauenrechtlerin Masih Alinejad, die Schauspielerin Golshifteh Farahani und der Aktivist Hamed Esmaeilion haben offenbar ein neues Oppositionsbündnis gegründet. Mit welchen Perspektiven?
Ich hatte die Möglichkeit eine Angehörige des Oppositionsbündnisses am Rande der diesjährigen Münchner Sicherheitskonferenz zu interviewen: Die Menschenrechtsaktivistin und Schauspielerin Nazanin Boniadi. Sie machte deutlich, dass die Freiheitsbewegung in Iran alle inkludiert, die von der Islamischen Republik Iran in den letzten 44 Jahren unterdrückt wurden (und werden). Frauen gehören dazu, ebenso wie LGBTQI-Personen, und ethnisch-religiöse Minderheiten. Mit Abdullah Mohtadi ist auch ein kurdischer Politiker Teil des Oppositionsbündnisses. Die politische Alternative zum Mullah-Regime formiert sich gerade erst. Auch das ist ein Prozess. Das informelle Oppositionsbündnis hat keineswegs den Anspruch, die „neue Regierung“ zu sein, und schon gar nicht, restlos alle zu repräsentieren, die sich einen freiheitlichen Wandel im Iran wünschen. Es geht vielmehr darum, dass es Ansprechpersonen gibt für die RegierungsvertreterInnen der Welt. Die Menschen in Iran sagen unmissverständlich: „Redet mit uns! Nicht mit unseren Mördern“. Das Oppositionsbündnis repräsentiert keineswegs alle Menschen, die sich einen neuen Iran wünschen. Aber es ist ein Anfang. Und so wie Demokratien nirgendwo auf der Welt perfekt sind, ist es auch dieses Bündnis nicht.
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