Restaurants und Geschäfte, die Frauen ohne Kopftuch bedienen, werden geschlossen. Mitten in einer tiefen Wirtschaftskrise erhöht sich damit der Druck auf sie, den Vorgaben der Behörden zu folgen.
Wie viele Geschäfte und Lokale in den letzten Monaten von der Polizei geschlossen wurden, weil sie Frauen ohne Kopftuch bedienten, ist nicht bekannt. In den Online-Versionen iranischer Zeitungen und im Internet finden sich aber täglich neue Berichte über das verschärfte Vorgehen der Behörden. Letzte Woche wurde zum Beispiel das größte Einkaufszentrum in der Touristenstadt Shiraz mit 230 Läden geschlossen. Gerade vor den Schulferien und der Urlaubssaison ist das für die betroffenen Geschäftsleute ein schwerer Schlag. Denn mitten in einer tiefen Wirtschaftskrise müssen sie nun hohe Mieten für ihre Läden zahlen, ohne dabei Umsätze machen zu können.
"Sie wollen uns gegeneinander ausspielen und setzen vor allem auf Denunziationen von ihren Anhängern", erzählt Leila im Gespräch mit der DW. Die Frauenaktivistin aus der kurdischen Stadt Sanandadsch glaubt zwar nicht, dass solche Versuche Frauen einschüchtern und die Zeit zurückdrehen werden. Sie fürchtet aber, dass diese Maßnahmen nicht ohne Folgen bleiben. "Uns ist bewusst, dass sie [die Regierenden, Anm. d. Red.] den Preis unseres Widerstands auf die Gesellschaft abladen wollen."
Nach dem tragischen Tod der 22-jährigen Jina Mahsa Amini im Polizeigewahrsam und den darauf folgenden landesweiten Protesten weigern sich immer mehr Frauen, den Hijab-Vorschriften zu folgen und zeigen sich ohne Kopftuch in der Öffentlichkeit. Um den Druck auf sie zu erhöhen, startete die Polizei Mitte April eine landesweite Operation, bei der sie auf öffentlichen Plätzen und Straßen neue Überwachungskameras installierte. Diese sollen Frauen identifizieren, die sich ohne Hijab in der Öffentlichkeit bewegen.
Der neue Oberbefehlshaber der iranischen Polizei, Ahmad-Resa Radan, betont, dass das Ablegen des Kopftuchs eine Straftat sei. Daher würden alle, die gegen das Gesetz verstoßen, dafür zur Rechenschaft gezogen werden. Dies soll nun auch für Geschäfte und Restaurants gelten, die Frauen ohne Hijab bedienen. Zunächst werden sie verwarnt, im Wiederholungsfall müssen sie mit ihrer Schließung rechnen.
Polizeichef Radan ist bekannt für seinen aggressiven Einsatz gegen jede Form von Protest und Widerstand in der Zivilgesellschaft. Aufgrund seiner Rolle bei der brutalen Niederschlagung der Proteste im Jahr 2009 steht sein Name auf der Sanktionsliste der EU. Damals setzte Radan als stellvertretender Chef der iranischen Polizei auf tödliche Gewalt gegen Demonstranten, die sich nach der umstrittenen Präsidentschaftswahl auf den Straßen versammelten. Im Januar 2023 wurde er von Ayatollah Ali Chamenei, dem Obersten Führer der Islamischen Republik Iran, zum Oberbefehlshaber der iranischen Polizei ernannt. Der Staat sandte damit ein Signal der Unversöhnlichkeit an die iranische Zivilgesellschaft, die monatelang gegen das politische System und die herrschenden Zustände wie den Kopftuchzwang für Frauen protestiert hatte.
Alle sollen "Gutes befehlen und Böses verbieten"
Seit der Revolution von 1979 gibt es im Iran strenge Kleidungsvorschriften für Frauen. Die Sittenpolizei, die diese Vorschriften kontrolliert, ist zwar aus der Öffentlichkeit nahezu verschwunden. Stattdessen wurde ein anderes Organ gestärkt - der Stab "Gutes befehlen und Böses verbieten". Der Stab steht unter der Leitung des Freitagspredigers der Hauptstadt Teheran und setzt auf die Anhänger der Staatsmacht. Diese zumeist freiwilligen Zuträger schicken Informationen über Verletzungen ihrer Moralregeln an diesen Stab. Landesweit verfügt dieser Spitzeldienst über rund 500 Büros. Zu den eingehenden Meldungen kann zum Beispiel das Foto von einer Frau ohne Kopftuch in einem Restaurant oder beim Einkaufen in einem Geschäft gehören.
"Ich kenne das", sag Zahra aus Teheran. "In den letzten Wochen wurde ich oft von Laden- oder Restaurantbesitzern angesprochen. Sie bitten mich, meinen Schal über den Kopf zu ziehen. Ich mache das nicht und verlasse lieber das Lokal oder das Geschäft. Denn ich will auch nicht, dass sie Probleme bekommen." Wenn ein Geschäft oder Restaurant geschlossen wird, hat das verheerende wirtschaftliche Folgen, oft auch für mehrere Familien. Der Iran leidet seit Jahren unter einer Wirtschaftskrise, die sich in den letzten Monaten noch verschärft hat. Laut offiziellen Zahlen ist die Inflationsrate im vergangenen halben Jahr von knapp 35 Prozent auf 55 Prozent gestiegen.
"Die Solidarität in der Gesellschaft ist aber gestiegen", betont die Frauenaktivistin Leila im Gespräch mit der DW. "Sogar religiöse und konservative Schichten der Gesellschaft haben mehr Verständnis für unseren Widerstand und unseren Kampf für Selbstbestimmung". Und die neue Strategie der Machthaber funktioniere auch nicht überall. "In Kurdistan zum Beispiel kenne ich kaum jemanden, der bereit ist, mit dem Stab 'Gutes befehlen und Böses verbieten' zusammenzuarbeiten."
Zweitveröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Deutschen Welle
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