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Informationskrieg: Die tausend-und-eins Schlachtfelder der Diaspora




Seit Iraner:innen weltweit endlich eine repräsentative, vielseitige Exil-Opposition aus verschiedenen bekannten Persönlichkeiten vorzuweisen haben, sind politische Akteur:innen, Politsektenanhänger:innen und Regime-Apologeten im Versuch vereint, die Bemühungen der Diaspora um die Revolution im Iran für eigene Zwecke zu instrumentalisieren. Aber es gibt noch weitaus mehr Schlachtfelder, um die sich die Diaspora kümmern muss. Oft stößt sie dabei schmerzhaft an ihre Grenzen und muss sich unfaire Etikettierungen gefallen lassen. Ein Kommentar von Nida.


Die Volksmodschaheddin (MEK) und ihr Standing bei Iraner:innen weltweit

So wurde jüngst ein Video von einer MEK-Veranstaltung veröffentlicht, in der die ehemalige Bundesverteidigungsministerin (CDU), Annegret Kramp-Karrenbauer (im folgenden „AKK“), sichtlich gerührt Vorträge hielt und so wirkte, als sei sie persönlich dafür geehrt worden, mit „Seelenschwester“ Maryam Rajavi (Präsidentin der MEK) und dem Rest der Politsektenbande, an der Speerspitze eines bald siegreichen Krieges gegen die Mullahs zu stehen. Und dann sprach sie sich für einen freien Iran mit Gleichberechtigung aus, als stünde Maryam Rajavi nicht in einem hochgeschlossenen, „modischen-irgendwas“ mit perfekt nach den Regeln der Sittenpolizei der Islamischen Republik bis zum Ersticken zugeschnürten Hijab da (Video).




 
 


Wer die MEK sind, weiß jeder Iraner und jede Iranerin auf sehr schmerzliche Weise. Es handelt sich dabei um eine militante Politsekte, deren Ideologie eine ungesunde Ausgeburt zwischen Islamismus und Marxismus/Neostalinismus darstellt. Eine von Gender-Apartheid geprägte Sekte, die ihren Anhänger:innen alles Weltliche entreißt, ihre essentiellen sozialen Bindungen kappt, sie dadurch besonders anfällig für emotionale Abhängigkeit macht, um sie sodann für ihre politischen Machtambitionen abrichten zu können. Im langjährigen Iran-Irak-Krieg haben sie auf der Seite von Saddam Hossein gegen iranische Soldaten gekämpft (Video - Rajavi/Saddam) und waren in jüngster Vergangenheit an der Ausbildung von iranischen Kindersoldaten beteiligt. Allein deshalb sind sie für das iranische Volk ein rotes Tuch und gelten gemeinhin als Verräter. Bis 2009 waren sie in der EU noch als Terrororganisation gelistet.


Der im Oktober 2022 veröffentlichte und aufwändig recherchierte Zeit-Artikel von Luisa Hommerich (Zeit-Artikel) führte zu juristischen Bemühungen der MEK gegen die ZEIT. Den Prozess verloren die MEK jedoch niederschmetternd. Im Januar 2023 wurde per gerichtlichem Beschluss erlassen, dass der besagte Artikel so veröffentlicht werden dürfe, wie er gedacht war. Begründung? Weil die im Artikel zusammengefassten Geschehnisse schlicht und ergreifend auf Tatsachen beruhen. Wenn die politische Diversität der Iraner:innen in der Diaspora auch hoch sein mag, so sind sie sich in dieser einen Sache weltweit einig: „MEK? Niemals, nein, nur über unsere Leiche. Und Punkt!“


Gefährliche Aktivitäten der MEK seit den Auftritten der Exil-Allianz


Die MEK haben auf Ermangelung an politischen Angeboten nun eine „Charme-Offensive“ gestartet. Einerseits haben sie sich – wie im Falle AKKs – wie eine hungrige Anakonda um ihr Opfer geschlungen, um ihren politischen Nutzen aus ihrer Prominenz zu ziehen und sich auf grotesk lächerliche Weise zu rehabilitieren.


Andererseits fallen sie dabei auf, Anhänger:innen von Reza Pahlavi (Sohn des letzten Monarchen) und der Exil-Koalition bei Demonstrationen und Kundgebungen massiv zu stören. Sie setzen sich mit ihrer seltsam gearteten Formation in den Vordergrund, lassen sich von der Presse ablichten, inszenieren Eskalationen, in denen sie sich teilweise zu Boden fallenlassen und dann wehklagend behaupten, Opfer von gewalttätigen Monarchisten geworden zu sein. Ziel ist einzig und allein die Diffamierung von Anhänger:innen der Exil-Koalition und insbesondere von Monarchist:innen. Gleichzeitig kämpft die Diaspora mit der Cyberarmee der Islamischen Republik, die einen ausgeklügelten Informationskrieg führt, um ahnungslose Leser:innen zu irritieren.


Fehlender politischer Wille der Bundesregierung


Lobbyisten und Apologeten des Islamischen Regimes gehen in der deutschen Politlandschaft ein und aus und werden als Iran-Expert:innen bei aufgerolltem roten Teppich eingeladen. Auch hier zeigt sich eine erhöhte Aktivität von NIAC und CARPO, insbesondere, seit die Bundesregierung „den Fluss des Rubikon“ überquert und nach einem längeren Abwägungsprozess vorerst entschieden hat, nicht auf die iranische Revolution zu setzen. So werden der Atomdeal und die Verhandlungen mit dem Mörder- und Vergewaltigungs-Regime wieder angepeilt, die Signale stehen auf Annäherung.



Annalena Baerbock (Foto: © gruene.de, Urban Zintel)

Sicherlich habt ihr ganz nebenbei vernommen, dass im Iran in den letzten Wochen Schulen jeder Altersstufe, bevorzugt Mädchenschulen, mit Giftgas attackiert wurden (Artikel). Viele wissen, dass dies ein gezielter Rache-, aber auch Präventions-Akt gegen die iranische Jugend ist. Frau Baerbock stellt sich indes taub, versucht sich in einer missglückten Charme-Offensive, indem sie sich am Internationalen Weltfrauentag neben jesidischen Frauen im Irak ablichten lässt, die Unfassbares durch die IS erleben mussten. Die Sache ist nur die: Die akute Bedrohungsphase durch die IS ist Gott sei Dank vorbei. Im Iran jedoch terrorisiert, just in diesem Moment, der weltweit größte Terror-Exporteur das eigene Volk. Dies hielt Iraner:innen zwar nicht davon ab, am internationalen Weltfrauentag, unter Einsatz ihres Lebens, unbeirrt auf den Straßen für „Frau, Leben, Freiheit“ zu marschieren und zu tanzen. Nur wurde das kaum gewürdigt.


Als feministische Außenpolitikerin kaum ein anerkennendes Wort über die historisch erste feministische Revolution zu verlieren, stellt eine Aberkennung sondergleichen dar. Umso konsequenter von ihr, die Aktivistin, Feministin sowie Mitglied unserer Exil-Opposition Masih Alinejad und ihre mehrfachen Anfragen für ein Gespräch unbeantwortet zu lassen. Mögliche Gründe? Vermutlich die Zurückweisung der Legitimität der Exil-Koalition und einzige Hoffnung von 85 Millionen iranischen Geiseln im Iran (Artikel).


Laut dem Auswärtigen Amt gebe es übrigens „keine rechtliche Grundlage“ zur Listung der Revolutionsgarden als Terrorganisation. Natürlich ist das nicht wahrheitsakkurat. Die Argumentationsstruktur des Auswärtigen Amtes wurde von vielen renommierten Juristen widerlegt, die rechtliche Grundlage besteht allein schon auf Basis der Listung durch die USA und europaweite Anschläge kann man zudem zuhauf nachweisen und heranziehen (Tweet).


Einzig der politische Wille ist es, der fehlt. Die Gründe hierfür sind vielseitig. Deutschland ist der größte Handelspartner der Islamischen Republik, da will man sich die Beziehung nicht verscherzen, nur weil eine nervtötende feministische Revolution im Gange ist und die Diaspora-Schreihälse einfach keine Ruhe geben. Auch dann nicht, wenn ukrainische Zivilist:innen durch Drohnen der Islamischen Republik getötet werden, es trotzdem zu den größten Wonnen unserer Außenministerin gehört, sich inmitten des ukrainischen Leids ablichten zu lassen und kämpferisch Unterstützung zu versprechen.



Wie die Ratten aus ihren Löchern gerannt: „National Iranian American Council (NIAC)“ und Konsorten


Als die Bundesregierung sich wieder „kuschelbedürftig“ dem Terror-Regime zugewandte, bedeutete dies gleichzeitig ein „Go“ für Lobbyisten und Regime-Apologeten, wieder aktiv zu werden. Der Auftrag dieser Lobbyist:innen ist, dem Islamischen Regime das legitime und „stabilisierende“ Gesicht zu verleihen, das die deutsche Außenpolitik benötigt, um „Business as usual“ zu machen, ohne dabei das eigene Gesicht zu verlieren. Sorry but not sorry: Das wird so nicht mehr funktionieren.


Die Diaspora hat eine akribische politische Beobachtungsgabe entwickelt. Das Enkodieren politischer „Blah-Blupps“ fällt somit immer leichter. Sie bleibt fokussiert bei Verschleierungsversuchen und der Nebelbombentaktik und weist kontinuierlich, kreativ und vor allem unangenehm nervtötend auf Missstände hin.


So bekam Sanam Naraghi-Anderlini, „Ex“-NIAC Mitglied, am 1. März 2023 neben unserer lieben Frau Baerbock, recht freundschaftlich anmutend, eine Bühne. Frau Naraghi-Anderlini fiel in der Vergangenheit mit Pro-Regime Narrativen auf, spricht sich weiterhin für Atomverhandlungen mit der Islamischen Republik aus und nimmt dabei den wohlwollenden Nebeneffekt in Kauf, dadurch eine Terrorlistung der Revolutionsgarden quasi unmöglich zu machen. Dass sich Frau Baerbock ausgerechnet jetzt erneut mit solchen Apologeten des Regimes trifft, ist kein Zufall und dient zur Stärkung ihrer Iran-Politik (Artikel).


In der letzten lit.COLOGNE trat Dr. Azadeh Zamirirad auf, ebenfalls eine Apologetin der Islamischen Republik. Die Ankündigung ihrer Person führte bei der Diaspora zu ungehörten Rufen, ihr bitte keine Bühne zu geben. Die lit.COLOGNE weigerte sich, Opfern des Islamischen Regimes (Diaspora) ein Ohr zu schenken, stattdessen wurden diese als „zerstritten“ und radikal diffamiert. Blaming-the-victim at its best.


Das Ende vom Lied war, dass sich die Warnungen der Diaspora bewahrheiteten. Frau Zamirirad befand in der Diskussionsrunde, dass die „Neuorganisation“ Irans aus dem Land selbst kommen müsse „und nicht aus dem Exil“. Was für ein Zufall, dass sie dieser Meinung ist, wenn sich doch gerade eine starke Exil-Koalition formiert hat. Weiterhin erklärte sie schmerzbefreit, keinen Mehrwert darin zu sehen, die Revolutionsgarden auf die Terrorliste zu setzen. Ach was? Beiden Aussagen sind Strategien inhärent, die den revolutionären Prozess verlangsamen, indes über Zigtausende unter (teilweise tödlicher) Folter und ggf. sexueller Gewalt leiden. Danke nochmal an lit.COLOGNE, dass ihr der guten Dame hierfür eine Bühne angeboten habt (Artikel).


Wiederholung der Regime-Propaganda in den deutschen Medien


Als wären das nicht schon genug Schlachtfelder, kämpfen wir regelmäßig über die „Copy-und-Paste“-Arbeitsmoral einiger Redakteur:innen. Investigativer Journalismus ist in Bezug auf das Thema Iran einfach Mangelware. Dankbar sind wir schon für Artikel oder Berichte beim ZDF-Heute-Journal, die ausnahmsweise nicht von dem unter Iran-Expert:innen umstrittenen Journalisten Jörg Brase zum Besten gegeben wurden. Zuletzt gab es gehäuft Copy-und-Paste-Meisterwerke über den „Einzug der Normalität“ im Iran, obwohl das Land sich noch inmitten der Giftgasattacken auf Schulen befand, die sich auf Universitäten und die U-Bahn Stationen erweitert hatten. In einem kritischen Artikel von Pascal Siggelkow für die Tagesschau (Artikel) wurde angemerkt, dass die Regime-Propaganda oftmals unkritisch übernommen werde. Auf wem lastet die Aufklärung von Nachrichtenagenturen, was denkt ihr?


Unfaires Labeling der „hysterischen Diaspora“


Bitte bedenkt diese tausend-und-eins willentlichen und unwillentlichen Kriegsschauplätze, bevor ihr uns verurteilt. Bedenkt, wir sind mehrheitlich weder Journalist:innen, Lobbyist:innen noch erfahrene Aktivist:innen. Wir mussten innerhalb von sechs Monaten zu politischen Beobachter:innen werden, denn es geht um Leben und Tod – auch das unserer Familien. Wir mussten lernen, mit durchschnittlich drei bis vier Stunden weniger Schlaf als sonst klarzukommen, wir haben einen umgestellten Alltag und switchen zwischen Arbeit und Newbie-Aktivismus um, verlieren Freunde, weil wir ihnen nur noch wenig Aufmerksamkeit schenken können, leiden unter psychischen Belastungssymptomen wie Herzklopfen, Angst und depressiven Gedanken. Wir schwimmen als kleine Fische gegen den großen Strom und suchen das Licht in den Wirren der Dunkelheit. Wir weinen heimlich um unsere Landsleute, deren Bilder und Videos wir so hoffnungsvoll in uns einsaugen, bis sie zu geliebten Menschen werden – als könnten wir sie dadurch festhalten und beschützen. Wir leiden unter Hinrichtungsnächte, in denen wir Angst haben, dass es zum Schlimmsten kommen wird, sobald wir unsere Augen schließen. Morgens wachen wir auf mit der Angst vor dem Smartphone.


Wir haben Endgegner wie MEK und NIAC-Lobbyisten, die hochorganisiert und hochbezahlt sind und mit offenen Armen von namenhaften Politiker:innen hofiert und angehört werden. Endgegner, die von einflussreichen Menschen beachtet werden, weil sie sich Vitamin-B-Pillen durch großes Geld erkaufen.


Kommen wir jemals an eine sich plötzlich im Pathos verlierende Annegret Kramp-Karrenbauer heran, so wie es Maryam Rajavi konnte? Kommen wir an eine Annalena Baerbock heran, wie es Adnan Tabatabai (CARPO) und Naraghi-Anderlini (NIAC) können? Schaffen wir es, die politische Landschaft Deutschlands von einer nie dagewesenen Einheit der Diaspora zu überzeugen, wenn extreme Randgruppen diejenigen sind, die durch Gelder und ein erkauftes Standing hier mehr beachtet werden als wir? Wer glaubt uns – und wer kann endlich das Rede-Zepter übernehmen und für die Menschen im Iran sprechen?


Also, liebe Leserin und lieber Leser, wo fangen wir an? Wir haben tausend-und-eins Schlachtfelder, werden als zerstritten stigmatisiert, um uns die Legitimität als Gesprächspartner zu nehmen. Trotz einer nie dagewesenen Einheit hinter unserer Exil-Allianz und der „Mahsa-Charter“, wird diese von deutschen Politiker:innen nicht erhört. Unser Bitten und Flehen an unsere iranisch-stämmigen Journalist:innen und Aktivist:innen, die Exil-Koalition zu supporten, werden momentan noch ignoriert (Thread von Nida).


Und einige von euch erzählen uns etwas von Uneinigkeit und Hysterie?


Ich weiß, das ist nichts gegen das, was unsere Landsleute im Iran erleben, deshalb reden wir auch so gut wie nie darüber. Aber da die Diaspora selbst nun zum Politikum wurde und zu Propagandazwecken instrumentalisiert wird, müssen wir darüber reden.



Nida ist eine Twitter-Userin in ihren Dreißigern. Sie lebt seit ihrer Geburt in Deutschland und fragt sich tagtäglich, warum sie sich dem Geburtsland ihrer Eltern so intensiv und liebevoll verpflichtet fühlt. Sie liebt Animes und Schokolade.

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