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„Die Mullahs nutzen den blinden Fleck und morden massenhaft“

Wie beobachten IranerInnen, Exil-IranerInnen oder im Westen lebende Menschen mit iranischen Wurzeln die Proteste in Iran? Mit einem Fragebogen holen wir Stimmen ein. Diesmal: der in Teheran geborene deutsche Rapper Basstard.




Die Proteste in Iran halten seit Wochen an. Mit welchen Gefühlen oder Gedanken beobachten Sie diese aktuell?


Ich fühle mich vor allem in meinen Vater hineinversetzt. Er führte in Japan ein beschauliches Leben als Ehemann, Kunstmaler und Dolmetscher, als im Iran 1978 die Revolution mit Generalstreiks richtig anfing zu brodeln. Er konnte nicht mehr untätig rumsitzen und beschloss, in den Iran zu fliegen, um als Marxist/ Leninist ein Teil der Revolution zu werden. Nicht nur, dass er den Kontakt zu seiner japanischen Frau deswegen verlor, die Revolution von den Mullahs gekapert wurde und seine Partei ihn enttäuschte, er verlor auch noch meine Mutter, als ich zwei Jahre alt war. Sie wurde hingerichtet und er wurde im berüchtigten Evin-Gefängnis gefoltert. Verkraftet hatte er das alles nie wirklich, und deswegen warnte er mich immer davor, mich politisch zu engagieren. Ich würde mich trotzdem am liebsten ebenfalls in den Flieger nach Teheran setzen und unterstützen, wo es geht. Ich fühle dieselbe Kraft, die ihn damals angetrieben hat, für die Freiheit zu kämpfen. Ich denke, durch meine jahrzehntelange Arbeit als Rapper kann ich aber viel mehr erreichen, indem ich die Leute hier in Deutschland über die Lage informiere und engagiere aktiv zu werden. Deutschland ist immer noch der größte Wirtschaftspartner des Islamischen Regimes in Europa, und was die Menschen hier über die Mullahs denken, kann großen Einfluss haben. Leider lebt mein Vater nicht mehr, um diese Revolution miterleben zu können, aber umso mehr versuche ich seiner Arbeit gerecht zu werden. Auch wenn er mich zu Lebzeiten davon abhalten wollte.


Haben Sie direkte Kontakte zur Bevölkerung in Iran? Falls ja: Was hören oder lesen Sie dort?

Mit meiner Familie versuche ich Kontakt zu meiden, gerade weil ich immer wieder höre, dass Familienmitglieder von exil-iranischen Aktivisten Repressalien und Drohungen ausgesetzt sind. Leider wurde einer aus meiner Familie auch verhaftet, und die Sorge ist sehr groß, dass ein Zusammenhang zu mir hergestellt werden kann. Außerdem halte ich Kontakt zu Aktivisten aus Teheran. Viele von ihnen sind sehr umtriebig und basteln tagsüber Molotowcocktails, um abends rauszugehen und Regierungsgebäude anzuzünden. Sie sind extrem vorsichtig und halten sich von großen Menschenmassen fern. Wenn sie mit den Molotowcocktails erwischt werden, droht ihnen unvorstellbare Folter und die Todesstrafe. Menschenleben sind den Mullahs und deren Bediensteten nichts wert und das beweisen sie der Welt momentan mehr als deutlich. Dennoch sind Molotowcocktails oder Steine die einzigen Waffen, die ihnen bleiben, um sich gegen den hochgerüsteten Regimeapparat zur Wehr zu setzen. Ich checke deren Social Media-Accounts regelmäßig und mache mir große Sorgen, wenn einige Stunden nichts Neues gepostet wird. Zum Glück sind sie bisher immer glimpflich davon gekommen, auch wenn es wohl einige Male ziemlich knapp gewesen sein soll. Näher will ich – zu deren Schutz – nicht darauf eingehen.


Wie schätzen Sie die aktuelle Situation ein? In welcher Phase sind die Proteste?

Es sind schon lange keine Proteste mehr. Man muss es als Revolution bezeichnen, denn nie zuvor haben sich so viele Ethnien, Altersschichten und auch Konservative gegen das Mullah-Establishment gestellt. Gestern wurden zum ersten Mal Armee-Einheiten gegen kurdische Iraner in Mahabad und anderen kurdischen Städten eingesetzt. Sie setzen Kriegswaffen und Panzer gegen unbewaffnete Mitbürger ein, die friedlich protestiert haben. Ich denke, es ist eine sehr kritische Phase, in der unsere Aufmerksamkeit mehr gefordert ist, als jemals zuvor. Mit dem Ukraine-Krieg zu konkurrieren, ist weder schön noch leicht, aber die mediale Aufmerksamkeit ist für die Menschen dort überlebenswichtig. Sobald unsere Medien nicht mehr hinschauen, weil gerade ein anderes Ereignis unsere Aufmerksamkeit hat, werden die Mullahs den blinden Fleck nutzen und massenhaft morden. Das ist unsere größte Angst.


Anders als viele andere große Proteste und Revolutionen geht diese unmittelbar auf den Aufstand von Frauen zurück. Was macht die feministische Revolution so besonders?

Frauen waren schon seit Begründung des islamischen Regimes die Leidtragenden und auch die ersten, die gegen die Mullahs auf die Straßen gegangen sind, um gegen die Einführung der frauenverachtenden Gesetze zu protestieren. Das heißt nicht, dass es allen Männern dort gut geht, aber es ist nun mal in deren Gesetzen verankert, dass die Frau nur halb soviel Wert ist wie ein Mann. In der Realität sogar weniger als die Hälfte. Diese unbändige, aber unterdrückte Wut der Frauen hat sich 43 Jahre lang aufgestaut und auf die junge Generation übertragen. Sie schreien nun all den eigenen Frust und den Frust der Mütter und Großmütter raus, der sich so lange keinen Weg in die Freiheit bahnen konnte. Immer wieder höre ich von den Männern, diese Frauen beschützen zu wollen, als wären es ihre eigenen Schwestern, Cousinen und Mütter, die auf den Straßen sind. Und in der Tat tun sie das heldenhaft. Diese Solidarität ist so bewundernswert und stark. Was auch immer Feminismus vor der iranischen Revolution 2022 bedeutet hat, danach muss die Bedeutung umgeschrieben werden.


Hierzulande – in Deutschland als auch anderen westlichen Ländern – wird das Thema in den Medien überlagert von anderen Themen wie dem Ukraine-Krieg. Was muss sich tun, um dies zu ändern?

Ich finde es erstmal stark, das sich Ukrainer mit den Iranern solidarisch zeigen und sie gemeinsame Kundgebungen durchführen. Den Menschen in Deutschland muss klar werden, dass Iran nicht so weit weg ist wie sie denken. Dass die iranischen Drohnen der Mullahs in der Ukraine Menschen töten, passiert nicht zufällig. Die Welt ist schon längst aneinander gerückt. Die oppressiven Regimes tun sich zusammen. Sie unterstützen sich gegenseitig und die freien Länder der Welt sollten wenigstens alles dafür tun, diesen Regimes nicht zu helfen, wenn sie schon keine direkte Unterstützung bieten können. Das ist alles, was viele Iraner fordern. Ein Mindestmaß an Solidarität für ein Volk, das sich nach der selben Freiheit sehnt, die Deutschland durch den Einsatz der Alliierten gegeben wurde. Oft werde ich kritisiert, wenn ich Nazi-Deutschland mit dem Mullah-Regime vergleiche, aber wenn man sich deren Vorgehen genauer anschaut, ist der Vergleich garnicht mehr so unpassend. Unbedingter Expansionswille, systematische Verfolgung und Ermordung von religiösen Minderheiten und Oppositionellen und nicht zuletzt der Hass und die apokalyptischen Drohungen gegen den jüdischen Staat Israels.


Was ist Ihre Prognose: In welche Richtung wird sich Iran bzw wird sich der Aufstand in den kommenden Monaten entwickeln?

Ich sehe diese Revolution wie ein Pendel, welches immer weiter ausschlagen wird. Dieses Pendel prallt am Rahmen des Mullah-Regimes immer wieder ab und verlangsamt sich danach vielleicht. Aber dieses Pendel wird deswegen nicht still stehen. Es wird wieder schwingen, es wird stärker schwingen und ich bin mir sicher, irgendwann wird dieser Schwung stark genug sein, um den Rahmen zu zerbrechen.


Basstard (Nima Najafi Hashemi), Solo-Musiker und Teil der Rapgruppe ZOMBIEZ/ Graffiti-Künstler/ Ton- und Veranstaltungstechniker


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