Die Menschen im Iran gedenken des Aufstands am 11. Februar 1979, der den vom Westen unterstützten Schah stürzte und den Beginn der Islamischen Republik markiert – zumindest das Regime gedenkt des Jahrestags, denn wohl noch nie stand der Gedenktag unter so blutigen Vorzeichen, noch nie war den Menschen so wenig nach feiern zumute. Mit Blick auf den Jahrestag bilanzieren Medien die Proteste.
Zu Beginn der 10-tägigen Feierlichkeiten (1.-11. Februar) hätten „grassrout groups“ die Bevölkerung dazu aufgerufen, jede Nacht regierungsfeindliche Parolen zu skandieren, meldet Iranintl. Der Gruppe „Youth of Tehran Neighborhoods“ sei es gelungen, zahlreiche Proteste in mehreren Städten zu mobilisieren. Die Fajr-Zeremonien, so die Gruppe, erinnerten an den Beginn des Leidens und der Finsternis für die Iraner. Die Menschen sollten skandieren: „Wir schwören auf das Blut unserer Kameraden, wir werden bis zum Ende durchhalten“. Der neue Aufruf zum Skandieren von Slogans und zum Anbringen von politischen Graffiti an Wänden in den Städten läuten, so Iranintl, eine neue Phase des Aufstands der IranerInnen gegen das Regime ein.
Auch das Wall Street Journal zwischenbilanziert die Revolutionsbewegung. Die organisierten Proteste seien weitgehend abgeklungen, aber diejenigen, die noch demonstrieren wollten, versammelten sich in kleinen Gruppen, die über Teheran und andere Städte verstreut seien und sich kaum oder gar nicht koordinierten – die Massen von Demonstranten seien stattdessen einer ruhigeren Form der Rebellion gewichen. Tausende von Frauen in Teheran gingen jetzt ohne das obligatorische Kopftuch, den Hidschab, im Freien spazieren. „Es ist eine Form des zivilen Ungehorsams, die das Regime wahrscheinlich nicht stürzen wird, die aber nach Meinung vieler in Zukunft schwer einzudämmen sein wird.“ Das WSJ zitiert außerdem Peyman Jafari, einen Historiker der iranischen Sozialgeschichte: „Viele Iraner sind zu dem Schluss gekommen, dass das Regime nicht lebensfähig ist, aber sie sind nicht zu dem Schluss gekommen, dass dieser Aufstand lebensfähig ist.“
Bekannte anti-westliche Propaganda kam indes von Präsident Ebrahim Raisi, der laut Iran Imprimer davor warnte, dass ausländische Mächte den Sturz der Theokratie planen könnten: „Sie wollen nicht, dass eine neue Welt und eine neue Zivilisation im Namen des Islam entsteht.“
Iranintl | WSJ | Iran Imprimer
NEWS
Hat der Iran heimlich eine Atomanlage umgebaut?
Laut Internationaler Atomenergiebehörde (IAEA) hat der Iran eine Anlage zur Herstellung von hoch angereichertem Uran heimlich umgebaut.
Iranisches Gericht sperrt Tanzpaar für zehn Jahre ein
Ein Gericht im Iran hat ein junges Paar zu mehr als zehn Jahren Gefängnis verurteilt. Sie hatten lediglich in der Nähe des Azadi-Towers, eines der berühmtesten Wahrzeichen Teherans, getanzt.
Anschlag auf Aktivistin vereitelt
Drei Männer wurden in den USA angeklagt, sich zur Ermordung der iranischen Journalistin und Aktivistin Masih Alinejad verschworen zu haben.
Israel soll Drohnenangriff auf Militäreinrichtung verübt haben
Eine iranische Munitionsfabrik in Isfahan ist am Samstag von drei Drohnen angegriffen worden. Laut Wall Street Journal sind die Angriffe von Israel ausgeführt worden.
Revolutionsgarden leiten Geldwäsche-Netzwerk im Irak
Eine Einheit der Quds-Truppe der Revolutionsgarden (IRGC) soll mit dem Schmuggel von Geld aus dem Irak in den Iran beauftragt sein. Auch die Botschaft der Islamischen Republik im Irak sei an den Geldwäscheoperationen beteiligt.
Ölexporte trotz US-Sanktionen gesteigert
Der Iran hat seine Rohölexporte in den letzten Monaten trotz der strengen US-Sanktionen gesteigert, was der krisengeschüttelten Wirtschaft des Landes eine gewisse Atempause verschafft.
Aserbaidschan evakuiert sein Botschaftspersonal
Die Erstürmung der aserbaidschanischen Botschaft in der iranischen Hauptstadt Teheran – mit einem Toten und zwei Verletzten – hat Folgen: Das Land zieht das Personal ab. Seit Monaten hatten die Spannungen zwischen den Ländern zugenommen.
Massive Korruption im Iran
Laut des jährlichen Berichts von Transparency International hat der Iran eine der höchsten Korruptionsraten der Welt. Die Islamische Republik rangiert auf Platz 147 von 180 bewerteten Regierungen.
Iran plant Verkauf öffentlicher Immobilien
Die Veräußerung an private Käufer soll angesichts der wirtschaftlichen Unsicherheit und der steigenden Inflation Geld beschaffen. Laut Ayatollah Ali Khamenei war die Entscheidung der früheren iranischen Führung, wichtige Wirtschaftssektoren öffentlich zu machen, ein Fehler.
ANALYSEN/HINTERGRÜNDE
Wie das Regime foltert
Seit Mitte Dezember haben NDR, WDR und Süddeutsche Zeitung mit mehr als einem Dutzend Iranern gesprochen, die seit Beginn der Proteste im September 2022 verhaftet wurden. Vielen Betroffenen wurden nach eigenen Angaben sämtliche Handys und Laptops abgenommen, oft schon bei der Verhaftung. Sie wurden bedroht und gefoltert, damit sie ihre Passwörter verraten.
Die feministische Ikonografie des Schülerinnen-Fotos
Zwei Wochen nach dem Tod von Mahsa Amini verbreitete sich ein Foto rasant in den sozialen Netzwerken: Schülerinnen, die ohne Kopftuch den iranischen Machthabern die Stirn bieten. Arte berichtet von den Entstehungs- und Verbreitungsbedingungen der Aufnahme, außerdem analysiert eine Philosophin, inwieweit es sich in eine feministische Ikonografie einfügt.
MENSCHEN
Taylor Hanson, Mitglieder der Band Hanson, will mit insgesamt 16.000 Menschen die Revolutions-Hymne „Baraye“ von Shervin Hajipour aufnehmen. Der Song soll im Februar veröffentlicht werden.
Jafar Panahi, Iranischer Filmemacher, tritt in den Hungerstreik. Der weltweit renommierte Regisseur sitzt seit mehreren Monaten im Gefängnis, obwohl der Oberste Gerichtshof das Urteil gegen ihn aufgehoben hatte.
Toomaj Salehi, der iranische Rapper, der im Oktober 2022 festgenommen wurde, wurde wie viele andere Inhaftierte gefoltert. Laut seiner in Deutschland lebenden Freundin Negin, die sich auf ehemalige Mithäftlinge beruft, hat Toomaj während der Folter in Einzelhaft seine Texte gerappt und gesungen. Zum Rapper Toomaj gibt es eine neue Doku des YouTube Reportageformats STRG_
Hassan Rouhani, ehemaliger Präsident des Iran, hat eine tiefe Spaltung der Gesellschaft beklagt.„Es ist eine wichtige Aufgabe der Verantwortlichen, die Wurzeln der Proteste zu finden und auf die Menschen einzugehen“, sagte der Ex-Präsident weiter. Rouhani war von 2013 bis 2021 Präsident.
Mohammad Reza Salehi, ehemaliger Berater des iranischen Präsidenten, spricht sich dafür aus, die exekutiven Befugnisse des Obersten Führers Ali Chamenei zu beschneiden, um das Überleben des Regimes zu sichern.
UND SONST
Forbidden Voices“: Fotoserie über das Gesangsverbot für Frauen im Iran
Der Iran blickt auf ein lange Tradition von Sängerinnen zurück. Vor der Islamischen Revolution von 1979 gab es eine Reihe von Sängerinnen, wie Hayden, Pari Malek oder Googosh, die sogar international bekannt wurden. Doch nach der Islamischen Revolution nahm der Einfluss des Klerus rapide zu. Die Betätigungsmöglichkeiten der Sängerinnen wurden immer weiter eingeschränkt, bis es schließlich zu einem öffentlichen Gesangverbot für Frauen kam. Der Fotograf Stephan Lucka hat klassische Sängerinnen, HipHop-Künstlerinnen, Pop- und Jazzsängerinnen und traditionelle Künstlerinnen für die Fotoserie aus dem Jahr 2018 „Forbidden Voices“ abgelichtet.
Neue Spotify Playlist „Women of Iran“
Der Musikstreamingsdienst hat in Solidarität mit den Menschen in Iran eine neue Songauswahl erstellt. „Women of Iran“ beinhaltet 50 Songs von Frauen und Männern. Zur Playlist heißt es: „Hört iranische Frauen und ihre Verbündete aus der ganzen Welt in voller Lautstärke!“
Comments