Der Landtransport, aber auch die Verschiffung iranischer Drohnen gen Russland sind sehr risikoreich, logistisch wie politisch. Bald soll die Drohnenproduktion auf russischem Territorium stattfinden. Khameneis Verbundenheit mit Putin scheint unverbrüchlich zu sein.
Von Ali Sadrzadeh
Die Kraft der Wiederholung ist unermesslich. Sie verwandelt Unwahrheit in Wirklichkeit, Lügengespinste in gängige Binsenweisheiten. Die russische Invasion in die Ukraine war gerade wenige Tage alt, als Ali Khamenei, der mächtigste Mann Irans, diesen Satz aussprach: „Die NATO trägt die Verantwortung für den Ukrainekrieg.“ Und wie ein Mantra, eine Wahrheit letzter Instanz wiederholen seitdem die offiziellen Medien und Politiker der Islamischen Republik diese Maxime, in unterschiedlichen Variationen. Und es blieb nicht bei Khameneis Erfüllungsgehilfen und nicht allein im Inneren.
Sein Leitgedanke fand auch bei manchen Auslandsiraner*innen Gehör. In den Chor stimmten linke Professor*innen ebenso ein wie kommunistische Zirkel oder diverse „Iran-Versteher*innen“. Sie alle präsentieren seit Kriegsbeginn unentwegt und mit unterschiedlichem Vokabular „Beweise“ bzw. Indizien für „Verbrechen der NATO am ukrainischen Volk“. Für diese krude These haben sie seit vergangenem Mittwoch einen sehr prominenten Zeugen, den sie inzwischen als „Zeugen der Anklage“ vorführen.
Denn an diesem Tag, dem 26. Juli 2023, sagte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg in Brüssel, das Bündnis wolle angesichts russischer Drohungen gegen die zivile Schifffahrt im Schwarzen Meer seine Aktivitäten verstärken und Überwachungs- und Aufklärungsaktivitäten erhöhen. Denn Russlands Handeln berge erhebliche Risiken für die Stabilität des für die NATO strategisch wichtigen Gebiets. Man erhöhe deswegen die Wachsamkeit, so der Generalsekretär. Interessengebiet, endlich ein starkes Wort, ein anderer Ton, mögen manche empfunden haben. Ob und wie die NATO im Schwarzen Meer allerdings viel mehr als bisher tun kann oder darf, das ist eine andere Geschichte.
Vorausgegangen waren dieser neuen zumindest verbalen Eskalationsstufe ein von Putin gekündigtes Getreideabkommen mit der Ukraine, die Blockierung der ukrainischen Häfen und parallel dazu die Luftangriffe auf die Hafenstadt Odessa. Mit dabei iranische Drohnen, die diesmal sehr intensiv und aktiver denn je am Werk waren.
Prediger als Kriegspropagandisten
Zufall oder nicht: Auf dem Höhepunkt der neuen Eskapade, fast gleichzeitig mit Stoltenbergs Auftritt in Brüssel, gewährte Khamenei einer Gruppe ausgewählten Prediger eine Audienz. Diese Geistlichen schließen für die kommenden zwei Monate ihre schiitischen Seminare und verbreiten sich als Prediger, Propagandisten und Wegweiser über das ganze Land. Das ist eine jährlich wiederkehrende Pflichterfüllung – mit Verdienstmöglichkeiten zugleich. Nach langen religiös verbrämten Tiraden gegen den Westen sprach Khamenei an diesem Tag einen Kernsatz aus, den seine Propagandisten in den nächsten Wochen im ganzen Land zu Gehör bringen sollten. Er lautete: „Die Ukraine ist zu einem Nato-Schlachtfeld verkommen, hier bringen westliche Waffen Zerstörung, dabei verdienen ihre Waffenkonzerne Milliarden.“
Ähnliche Worte hört man zwar auch an anderen Orten und in anderen Sprachen, doch Khameneis „Republik“, die sich von Anfang an einem umfassenden Kampf gegen den Westen verschrieben hat, kann und darf auf diesem „globalen Schlachtfeld“ nicht untätig bleiben. Das versteht sich von selbst.
Nutzlose Kamikaze-Drohnen?
Es ist Khameneis verinnerlichtem, irrationalen und weltfremden Hass gegen alles Westliche zu verdanken, dass Putin praktisch seit Beginn seines Kriegs in der Ukraine iranische Kamikaze-Drohnen erhält. Manche Militärexperten wagen die These, das iranische Waffenarsenal habe von Anfang an zu Putins Kriegskalkulation gehört.
Zunächst schockierten diese Drohnen die ukrainischen Fronttruppen mit ihrer Zielerfassung und ihren fast 40-Kilo-Sprengladungen. Dann flogen sie in Wellen gegen Zivilist*innen und Infrastrukturziele in der gesamten Ukraine.
Sehr schnell, bereits in den ersten Wochen ihres Einsatzes präsentierte die ukrainische Armee der Weltöffentlichkeit Überreste der abgeschossenen Modelle Shahed 131 und Shahed 136. Ukrainische Experten studieren diese Drohnenreste offenbar gründlich, um ihren Aufbau besser zu verstehen und sie noch genauer abschießen zu können. Und Nun werden mehr als 80 Prozent der iranischen Drohnen in der Ukraine abgefangen.
Bei der Präsentation der Reste breitete im vergangenen März ein ukrainischer Offizier alle Teile einer Drohne auf einem Tisch aus und sagte der internationalen Presse: „In dieser iranischen Shahed befinden sich 20 Kilogramm hochexplosives TNT. Bisher sind nur wenige dieser Modelle eingesetzt worden, Russland hat bislang hauptsächlich Shahed 136-Drohnen verwendet, in denen sich zwischen 40 und 50 Kilogramm TNT befinden.“
Der innere Aufbau der Drohnen sei sehr einfach, aber effektiv, meinen die Spezialisten. Wesentlich sei die CRP-Antenne, die helfen soll, die elektronische Luftabwehr der Ukraine zu umgehen. „Alle diese Komponenten kann man bei dem chinesischen Versandhaus Ali Express kaufen. Die Drohne enthält auch eine GPS-Antenne und eine einfache Batterie, um sie am Leben zu erhalten. Diese wichtigen Teile konnten die Iraner bis vor kurzem auch in Japan, Europa und den USA kaufen, das scheint aber zu Ende zu gehen“, sagt der ukrainische Drohnenkenner.
Die US-Administration hat inzwischen eine umfangreiche Task Force ins Leben gerufen, um herauszufinden, wie westliche Komponenten, darunter US-amerikanische Mikroelektronik, in die iranischen Drohnen gelangen. Mit ihren Sanktionen wegen der Drohnenlieferungen gingen die USA voran, nun macht offenbar auch der Rest der westlichen Firmen mit.
Der machtlose Westen?
Khameneis Drohneneinsatz über der Ukraine unter dem Kommando seines verehrten Verbündeten – manche sagen: seines Herrn – verleihen beiden mächtigen Männern in Moskau und Teheran eine internationale Dimension. Drei Monate nach der russischen Invasion sagte Khamenei mit Stolz: „Vor ein paar Jahren sagten sie im Westen, die Bilder iranischer Drohnen und Raketen seien Photoshop-Bearbeitungen. Jetzt sagen sie, iranische Drohnen seien sehr gefährlich, warum verkaufen sie sie in ein bestimmtes Land?‘“ Mit „bestimmtem Land“ meint er Russland.
Die Beziehung des Kremls zum Iran sei eine „beispiellose Verteidigungspartnerschaft, die der Ukraine, den Nachbarn Irans und der internationalen Gemeinschaft schadet“, sagte Anfang Juli John Kirby, der Sprecher des nationalen Sicherheitsrates der USA. „Wir nutzen weiterhin alle uns zur Verfügung stehenden Mittel, um diese Aktivitäten aufzudecken und zu stören, auch indem wir sie der Öffentlichkeit zugänglich machen – und wir sind bereit, mehr zu tun.“ Leicht gesagt.
Bald mehr und bessere Drohnen
Die Sache wird für den Westen in naher Zukunft noch schwieriger und komplizierter werden. Am 8. Juli enthüllte Kirby in Washington vor Journalisten ein Geheimnis: US-Geheimdienstmitarbeiter seien davon überzeugt, dass Teheran und Moskau dabei seien, in Russland ein Drohnen-Fließband für den Ukraine-Krieg einzurichten; die Anlage in der russischen Sonderwirtschaftszone Alabuga könne Anfang nächsten Jahres mit der Produktion beginnen.
Das Weiße Haus hatte bereits im April Satellitenbilder eines mehrere hundert Kilometer östlich von Moskau liegenden Industriestandorts veröffentlicht, wo diese Anlage gebaut werden soll. Wenn die Fabrik voraussichtlich Anfang nächsten Jahres mit der Produktion einer neuen Drohnengeneration beginnt, könnte das den Kriegsverlauf in der Ukraine entscheidend bestimmen, meinen Militäranalysten.
Noch werden die Drohnen von Amirabad am Kaspischen Meer im Iran nach Machatschkala in Russland verschifft, dort von den Russen in Empfang genommen und in der Ukraine eingesetzt.
Der Versand von Waffen an Russland sei „ein sehr riskantes Unterfangen, logistisch ebenso wie politisch“. Denn der Empfänger dieser Drohnen sei ein Land, das „offiziell als Aggressor gilt“, schrieb vorsichtig die Webseite Etemad, die den Reformern nahe steht.
Bald sollen diese politischen und logistischen Risiken verschwinden. Die Drohnen werden in einem iranisch-russischen Joint Venture auf russischem Territorium gebaut werden. Und mithilfe erfahrener russischer Militäringenieure sollen dann auch die technischen Unzulänglichkeiten der iranischen Drohnen verschwinden.
Ergebenheit und Unterwerfung
Die beiden Despoten, auf deren Schultern diese merkwürdige Partnerschaft ruht, bestimmen auch die „Eliten des militärisch-industriellen Komplexes“ in ihren jeweiligen Ländern. Wie mächtig, wie unabhängig aber die einzelnen Mitglieder dieser Elite sind, bleibt ungewiss. Was und wie sie denken, weiß niemand. Wie soll, wie will man verschiedene Interessen innerhalb der russischen Oligarchie differenzieren? Noch schwieriger ist eine Differenzierung unter den religiös-revolutionär verbrämten Stiftungen Irans, deren Krakenarme rund um die Welt reichen.
Khamenei fühlt sich an Putins Seite sehr sicher und ist bereit, dafür fast alles zu ertragen, sogar Erniedrigungen und nationale Tabubrüche. Mitte Juli unterschrieb Russland eine gemeinsame Erklärung mit dem Golf-Kooperationsrat, in der es zusammen mit allen Staaten am Persischen Golf die iranische Souveränität über drei Golfinseln in Frage stellt. Diese strategisch bedeutenden Kleininseln werden auch von den Vereinigten Arabischen Emiraten beansprucht. Ein politisches No-Go für den Iran, doch gegenüber Khamenei empfindet Putin viel Stiefelfreiheit.
Für den Blick nach Moskau zahlt Khameneis „Republik“ einen sehr hohen Preis. Zu den zahlreichen Sanktionen der UNO, der EU und vor allem der USA wegen der Atomfrage, der Menschenrechte und der regionalen Konflikte sind nun verschiedene Sanktionen wegen des Ukrainekriegs hinzugekommen. Die Misere der iranischen Wirtschaft schreitet voran, fast die Hälfte der Bevölkerung ist unter die offizielle Armutsgrenze gerutscht und die Unzufriedenheit der Menschen mit dem Regime war nie so hoch und verbreitet wie dieser Tage. All das scheint vernachlässigbar, zweitrangig, unerheblich zu sein gegenüber einer vollkommenen islamischen Gesellschaft, die Khamenei im Iran und darüber hinaus mit aller Macht errichten will.
Zweitveröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des IranJournal
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