Wie beobachten IranerInnen, Exil-IranerInnen oder im Westen lebende Menschen mit iranischen Wurzeln die Proteste in Iran? Mit einem Fragebogen holen wir Stimmen ein. Diesmal: Isabel Abedi, Kinder- und Jugendbuchautorin mit deutsch-iranischer Herkunft.
Die Proteste in Iran halten seit Wochen an. Mit welchen Gefühlen oder Gedanken beobachten Sie diese aktuell?
Aktuell (nach dem Wochenende vom 19. & 20. November) bin ich tief getroffen von den Angriffen in Mahabad. Die Schreie und Schüsse, die mich auf Instagram erreichten, werde ich nie wieder loswerden. Nie wieder werde ich einen Regenbogen sehen können, ohne an Kian zu denken, den 10-jährigen Jungen, der davon träumte, Ingenieur zu werden und der für den Gott des Regenbogens ein Boot gebaut hat. Als Kinderbuchautorin sind es Geschichten wie Kians, die sich tief in meinem Herz einnisten. Und dass mittlerweile über 50 Kinder und Jugendliche ihr Leben verloren haben, macht mich fassungslos.
Trotzdem gebe ich die Hoffnung nicht auf.
Ich denke und fühle, dass wir hier im Westen weiter – und mehr denn je – Schallverstärker für die Menschen in Iran sein müssen. Ich denke und fühle, dass wir uns bewusst machen müssen, wie viele Kinder unter ihnen sind. Viele in Deutschland lebende Kinder haben selbst Flucht- oder Kriegshintergrund. Viele von ihnen sind Kinder der Diaspora.
Und Kinder haben noch einen so puren Sinn für Gerechtigkeit.
Deshalb habe ich am Tag der Internationalen Kinderrechte zusammen mit einer jungen Iranerin, die auf ihrem Instagram Account über die Menschen in Iran informiert, einen Beitrag über die Iran Revolution gemacht: https://www.instagram.com/iranianlifestories/ & https://www.instagram.com/isabel.abedi/
Unsere Ansprache richtet sich direkt an die Kinder und hat große Resonanz gefunden.
Auch das gibt mir Hoffnung, denn ich glaube schon, dass viele Menschen in Deutschland helfen wollen, aber immer noch nicht richtig wissen, wie.
Sehr wichtig finde ich, beim Blick auf Iran, die „westliche Brille“ abzusetzen. Also von sich selbst weg- und hin zu den Menschen in Iran zu schauen. Dabei denke ich an das Gedicht, das Sarah Bosetti bei extra3 vorgetragen hat. Es endet mit den Zeilen:
Ich steh nicht an eurer Seite,
ich steh hinter euch und staune.
Ich sehe, wie ihr leidet,
ich steh hinter euch, ich raune,
und ich flüster was von Zeit,
um euch als Echo beizustehn.
Ich steh hinter euch, ganz weit,
in eurem Schatten kaum zu sehn.
Das ganze Gedicht ist hier:
Haben Sie direkte Kontakte zur Bevölkerung in Iran? Falls ja: Was hören oder lesen Sie dort?
In meinem Interview mit NDR Info wurde mir diese Frage bereits am 15. Oktober gestellt, meine Antwort ist hier nachzuhören:
Eine Stimme aus der Bevölkerung in Iran möchte ich allen ans Herz legen. Ein iranisches Geschwisterpaar, mit dem ich mittlerweile eng befreundet bin, übermittelt seit einigen Wochen die Briefe einer Schriftstellerin aus Ektaban, einem Stadtteil in Teheran (in dem auch ich Familie habe). Mehrdad Zaeri, der als Künstler in Mannheim lebt, steht in persönlichem Kontakt mit der Schriftstellerin und empfängt ihre Briefe als Sprachnachricht. Seine Schwester, Mehrnousch Zaeri-Esfahani, hat die Briefe ins Deutsche übertragen und eingelesen. Es ist eine Stimme, die aus dem Herzen spricht und Licht auf Nuancen wirft, die in der westlichen Debatte „über“ Iran von unermesslichem Wert sind. Der SWR berichtet über den Austausch zwischen Teheran und Mannheim. Dort sind auch Bilder und eine leicht gekürzte Fassung des ersten Briefes zu finden.
Ich empfehle außerdem die Website und die Instagram Accounts von Mehrnousch Zaeri-Esfahani, die 1985 mit ihrer Familie nach Deutschland floh, und hier als Sozialpädagogin, Referentin, Storytellerin, Übersetzerin und Schriftstellerin beeindruckende Arbeit leistet.
Wie schätzen Sie die aktuelle Situation ein? In welcher Phase sind die Proteste?
Diese Einschätzung überlasse ich den den Expert:innen, die ich auf meinem Instagram Account auch meinen deutschen Follower:innen empfehle. Zu ihnen zählen Natalie Amiri, Katharina Willinger, Düzen Tekall, Susan Zare und Gilda Sahebi, die im November mit Sahar Eslah den Podcast „Das Iran-Update“ ins Leben gerufen hat. Wer in den sozialen Medien den Überblick verliert oder sich von den öffentlichen Medien nicht genügend informiert fühlt, kann sich hier wöchentlich und fundiert über die Ereignisse auf dem Laufenden halten.
Anders als viele andere große Proteste und Revolutionen geht diese auf den Aufstand von Frauen zurück. Was macht die feministische Revolution so besonders?
Soweit ich weiß, ist dies die erste Revolution, die von Frauen angeführt wurde. Und – was in den meisten Medien nicht kommuniziert wird: die junge Frau, die zur Symbolfigur dieser Revolution geworden ist, war eine kurdische Frau. Ihr richtiger Name lautet Jina Amini.
„Auch Frauen aus Afghanistan haben den gleichen Schmerz und kämpfen den gleichen Kampf wie die Frauen in Iran.“ Das sagte auf einer der ersten Demonstrationen in Berlin die junge Journalistin Arezao Naiby, die Ende 2015 mit ihrer Mutter und ihren beiden Geschwistern aus Kabul über den Iran, die Türkei und Griechenland nach Deutschland geflohen ist. Arezao Naiby gehört der Ethnie der Hazara an – eine Minderheit in Afghanistan, die von den Taliban brutal verfolgt worden sind.
Mir ist es wichtig, zu betonen, dass die feministische Revolution in Iran nicht nur von Iranerinnen geführt wird – und längst nicht mehr nur von Frauen. Weibliche, männliche und non-binäre Menschen kämpfen Seite an Seite für dieselben Werte. Das unterscheidet diese Revolution von allen vorherigen. Und auch das, wofür die Menschen kämpfen, ist neu: Sie wollen keine Reformen. Sie wollen das Regime nicht mehr. Sie wollen frei und selbstbestimmt leben dürfen.
Hierzulande – in Deutschland als auch anderen westlichen Ländern – wird das Thema in den Medien überlagert von anderen Themen wie dem Ukraine-Krieg. Was muss sich tun, um dies zu ändern?
Die Revolution in Iran betrifft uns alle. Das müssen die Medien anerkennen und ernst nehmen. Das „Thema Iran“ ist aus meiner Sicht sehr wohl mit anderen Themen wie dem Ukraine Krieg und Russland verbunden. In dem - empfehlenswerten – Podcast „Jung & Naiv“ hat Natalie Amiri Iran und Russland als „ziemlich beste Freunde“ bezeichnet.
Die Iran-Aktivistin Daniela Sepheri leistet seit Stunde eins dieser Revolution beeindruckende Arbeit, was die Verantwortung der deutschen Politik- und Medienlandschaft betrifft. Auch viele andere aus der Diaspora, die ebenfalls seit Wochen unschätzbaren, unbezahlten Einsatz zeigen, versuchen, die Medien zur Verantwortung zu ziehen. Gerade heute ging eine Sammelmail an große Nachrichtensender heraus.
Was ist Ihre Prognose: In welche Richtung wird sich Iran bzw wird sich der Aufstand in den kommenden Monaten entwickeln?
Ich bin keine Expertin, ich kann und will keine Prognose machen. Ich will Hoffnung verbreiten. Hoffnung darauf, dass es möglich ist, dieses Regime zu stürzen. Und ich will, dass der Westen sieht, wie stark der Widerstand der Bevölkerung – allen Grausamkeiten des Regimes zum Trotz – noch immer ist.
„Trotz der Toten, trotz der massiven Angriffe, trotz aller Einschüchterungen: Die Menschen in Piranshahr gehen wieder auf die Straßen, und zwar in Massen. Die Stärke der Kurd*innen strahlt über das ganze Land“. Das las ich heute, am 22. November, auf Gilda Sahebis Instagram-Account.
Zum Schluss möchte ich noch zwei Perspektiven empfehlen, die mich persönlich tief berührt haben:
und
Das Zitat am Anfang dieses Artikels gibt für mich auch die Antwort auf die oben gestellte Frage.
If I stand up
And you stand up
All will stand up
If I sit down
And you sit down
Who will stand up?
Hamid Mossadegh
Isabel Abedi, 1967 in München geboren, arbeitete 13 Jahre lang als Werbetexterin. Abends, am eigenen Schreibtisch, schrieb sie Kindergeschichten und träumte davon, eines Tages davon leben zu können. Dieser Traum hat sich erfüllt. Mit Jugendbüchern wie „Whisper“ und der Kinderbuchserie „Lola“ avancierte sie zu einer der beliebtesten deutschen Kinder- und Jugendbuchautorinnen. Ihre Bücher sind insgesamt in über 33 Länder verkauft und teilweise verfilmt worden. Isabel Abedi ist deutsch-iranischer Herkunft, lebt in Hamburg und begleitet dort seit 2019 die „Schreibsisters“ von Sisters Network beim „Schreiben, was uns bewegt“.
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