Wer sich intensiver mit den Strukturen und Machtinstrumenten der Islamischen Republik beschäftigt, riskiert nicht selten die eigene Sicherheit. Deswegen gibt es viele Iraner im Exil, die ihre Identität aus persönlichen Gründen nicht preisgeben. Anders ist das bei Faranak Rafiei. Sie lebt in Köln, arbeitet investigativ, um vor allem das Thema Propaganda sichtbar zu machen - und lässt sich trotz persönlicher Verfolgung durch das Regime nicht einschüchtern. Ein Interview.
Als was würdest du dich bezeichnen?
Ich arbeite journalistisch und aktivistisch als investigative Rechercheurin zu den Themen Iran, den Machtinstrumenten des Regimes und seinen Propaganda-Methoden – von den 90er Jahren bis in die heutige Zeit.
Warum hast du Dich auf diesen Bereich spezialisiert?
Das hat vor allem mit den Ereignissen im November 2019 begonnen. Wir Iraner in der Diaspora waren Zeugen eines blutigen Massakers im Iran – und dessen verhältnismäßig leisen Berichterstattung im Ausland.
Damals wurden 1500 Menschen im Iran in drei Tagen getötet, weil sie gegen eine angekündigte Benzinpreiserhöhung des Regimes demonstriert hatten.
Das ist die offizielle Zahl. Unabhängige Recherchen von Forschern wie Kaveh Madani und weiteren Wissenschaftlern haben später jedoch ergeben, dass es damals ein Vielfaches mehr an Opfern gab, es waren ungefähr 9000 bis 11000 Tote. Auch wir haben dazu im Rahmen unseres Kollektivs „Iran Fact Records“ recherchiert und mit Augenzeugen gesprochen. Wir können das bestätigen.
Was genau macht dieses Kollektiv?
Wir sind ein internationales, ehrenamtliches Netzwerk aus Journalisten, Aktivisten und Akademikern, das vor allem anonym und investigativ recherchiert und sich auf die Propaganda des Regimes im Ausland konzentriert. Wir sitzen in Deutschland, den USA, der Türkei und auch im Iran zum Beispiel und versuchen Zahlen aufzudecken und Ereignisse im Iran abzubilden, so wie sie stattgefunden haben – und nicht so, wie das Regime sie darstellt.
So auch habt Ihr eigene Zahlen zum Massaker 2019 recherchiert?
Ja. Im Rahmen unserer Arbeit haben wir mehr und mehr herausgefunden, was für einen wahnsinnig großen Umfang dieses Massaker hatte. Das hat uns damals erschüttert – also haben wir versucht, unsere Trauer und unsere Wut in etwas Produktives zu investieren, in dem wir das Kollektiv gründeten, um diese Missstände aufzudecken. Die Ergebnisse sind in unserem ausführlichen Bericht „Bloody November“ auf der Webseite unseres Kollektivs abrufbar (iranfactrecords.com). Wir sind inzwischen sehr gut vernetzt und haben eigene Quellen, die uns bei den Recherchen helfen. So können wir mit eigenen Mitteln recherchieren, Behauptungen überprüfen und Fakten aufdecken. Das alles ist sehr intensiv und zeitaufwändig – aber immens wichtig.
Warum ist es so wichtig, die Geschehnisse rund um die Islamische Republik (IR) zu verifizieren?
Wir dürfen uns nicht auf die Zahlen der IR verlassen, die ihre Ideologie mit Terror, Mord und Vertuschung manifestiert. Es gibt im Iran keine freie Presse und damit auch keine unabhängigen Quellen, die eine Situation so abbilden, wie sie stattfindet. Propaganda ist das wichtigste Instrument des Regimes - im Inland aber auch vor allem im Ausland. Und dabei muss man ihre Geschichte und ihre Anpassung genau beleuchten, um sie besser zu verstehen. Das ist unser Thema.
Was genau meinst du mit „Anpassung“ der Propaganda?
Es ist immens wichtig, zu verstehen, mit welcher Vorgehensweise und welchen Methoden das Regime seine Interessen durchsetzt. Mit „Anpassung“ ist dabei die Entwicklung der Propaganda mit der Zeit gemeint. In den 90er Jahren zum Beispiel schickte es noch gezielt Agenten und Auftragskiller ins Ausland, um Menschen zu ermorden und Kritiker zum Schweigen zu bringen. Erinnern wir uns an die „Mykonos-Morde“ 1992 in Berlin oder den Auftragsmord an dem ehemaligen Premierminister Shapur Bakhtiar 1991 in Frankreich. Heute sind es andere Methoden, mit denen das Regime seine Macht außerhalb der Landesgrenzen demonstriert.
Welche?
Im Zuge der reformerischen Welle im Iran hat das Regime Anfang der 2000er Jahre auch seine Propaganda und Machenschaften angepasst, um augenscheinlich ein anderes Bild von sich im Ausland zu erzeugen. Das neue Instrument, Angst und politische Abhängigkeit unterschwellig herzustellen, war verdeckter: Das Regime verkaufte sich im Ausland als „entwicklungsorientiert“ und offen, um Respekt und Neugier auf den Iran zu erzeugen. Das markiert einen Wendepunkt der Propaganda und ist in seiner Art einmalig.
Kannst du das genauer erläutern?
Das neue Machtinstrument wurde installiert, indem das Regime Interessengemeinschaften und Organisationen im Ausland unterstützte, die sie mit ihren eigenen Leuten besetzte - und die ein Interesse an Diplomatie, Forschung und internationaler Zusammenarbeit bekundeten. Aus dieser Entwicklung ist zum Beispiel die NIAC (National Iranian American Council) in den USA hervorgegangen. Regimetreue Akteure und vermeintliche Experten nehmen durch Lobby-Arbeit Einfluss auf den Westen und lenken so sein Bild und seinen Umgang mit dem Iran. Die Anfänge von NIAC fallen in die Zeit, in der der spätere Außenminister der Islamischen Republik - Mohammad Javad Zarif - zum Beispiel UN-Botschafter war und der maßgeblich an den Atom-Verhandlungen mit der Islamischen Republik beteiligt war.
Getarnte Diplomatie als Propaganda-Instrument?
Ja. Regimetreue Akteure in verschiedenen NGOs und Thinktanks wurden überall auf der Welt eingesetzt. Später waren sie auch für Professuren an Universitäten und in akademischen Kreisen aktiv. Und noch etwas später unterwanderten sie als Journalisten und Berichterstatter auch die Medien. An diesem Prozess hat man mehr als 20 Jahre gearbeitet – heute sind diese Akteure als anerkannte Experten in allen möglichen Bereichen überall auf der Welt aktiv.
Wie sieht diese Unterwanderung in Europa aus?
So eine Organisation wie NIAC konnte sich hier nicht durchsetzen. Lobbyismus und Meinungsfreiheit werden in den USA anders definiert als in Europa. Hier – in den unterschiedlichen Staaten und in deren unterschiedlichen Rechtsordnungen – ist die Lage schlimmer und weniger übersichtlich. Hier haben wir es mit einzelnen Apologeten zu tun, die vielleicht nicht in großen Organisationen wie einer NIAC eingebunden sind - aber individuell einflussreiche Posten besetzen. Es ist kaum zu glauben, wie sehr diese Akteure in allen möglichen Ländern und Bereichen verstreut sind. Da stehen wir vor einem Berg an Recherchen. Wir haben an den unterschiedlichsten Orten und in den unterschiedlichsten Bereichen Leute ausfindig gemacht, die die Narrative des Regimes installieren und so die Interessen der IR zu ihren Gunsten vertreten.
Hast du ein konkretes Beispiel?
Der jüngste Fall hat sich gerade Anfang März ereignet, als Außenministerin Annalena Baerbock ausgerechnet Frauenrechtlerin und Iran-Lobbyistin Sanam Naraghi - Anderlini eingeladen hatte, um die Konzeption ihrer feministischen Außenpolitik vorzustellen. Naraghi war bis 2018 NIAC-Mitglied und ist bekannt durch zahlreiche apologetische Statements, in denen Regimegegner zum Beispiel als Kriegstreiber beschimpft werden. Bei ihrem Treffen mit Baerbock hat sie unter anderem für einen neuen Atom-Deal mit der Islamischen Republik geworben und Gespräche vorgeschlagen.
Also für die IR geworben.
Ja. Der aktive Versuch der Aufrechterhaltung der Beziehungen mit diesem menschenverachtenden Regime und Naraghis Biografie sind ist ein ganz klares Zeichen, dass hier eine Beraterin im Einsatz ist, die Einflussnahme auf politischer Ebene versucht – und nicht die Interessen der Menschen im Iran vertritt, die keine Reformen sondern ein Ende des Regimes wollen. Das ist ein extrem verzerrtes Bild, das solche Apologeten bewusst erzeugen. In diesem Fall in der Person einer Frauenrechtlerin - einer gebildeten, modernen Akademikern mit internationalem Auftreten - die sich in Wahrheit nicht gegen die Unterdrückung der Frauen im Iran einsetzt. Es gibt ein berühmtes Video, in dem Frau Naraghi zustimmend mit dem Kopf nickt, als ein Iran-Lobbyist die Revolutionsgarden und den Einsatz der Sittenpolizei im Iran relativierte. Als Frauenrechtlerin.
Lässt sich eine direkte Verbindung solcher Akteure zum Regime herstellen?
Da können wir im Augenblick nur spekulieren, weil wir noch am Anfang unserer Recherchen stehen. Es handelt sich um Tausende Leute, die überall auf der Welt in ihren Posten verstreut sind. Und auch diese Leute müssen sich mit der Entwicklung der vergangenen sechs Monate anpassen und im Zuge der Bewegung im Iran neu definieren – ohne dabei aber ihre Rolle zu verlassen. Das ist eine interessante Neuausrichtung, die wir in diesen Tagen beobachten. Diese Leute sind sehr raffiniert darin, sich in dieser aktuellen Situation den Gegebenheiten anzupassen.
Auch Namen wie Adnan Tabatabai und Azadeh Zamirirad fallen in diesem Zusammenhang oft.
Ja. Das ist hinlänglich kommuniziert und nachzulesen, um wen es sich bei diesen Reformisten handelt. Aber auch diese beiden Personen passen sich an, werden in ihrer Funktion regelmäßig auf Veranstaltungen als Berater und Experten eingeladen, wofür sie auch gut bezahlt werden. Diese Berater-Positionen sind ein besonderes Phänomen in Deutschland. Darüber wird sich offen ausgeschwiegen - aus Angst vor persönlichen, rechtlichen Konsequenzen. Das ist die Macht dieses mächtigen Propaganda-Werkzeugs, von der ich spreche.
Was könnte Rechercheuren und Kritikern passieren?
Das geht von juristischen Klagen bis hin zu persönlichen Drohungen, Verfolgungen und auch Entführungen von Menschen, die im schlimmsten Fall hingerichtet werden. Erinnern wir uns an den Journalisten und Regimekritiker Ruhollah Zam, der 2019 von seinem Wohnort in Frankreich in den Irak gelockt und von dort durch iranische Sicherheitskräfte in den Iran entführt wurde. Er wurde 2020 hingerichtet. Aktuell droht dem verschleppten Deutsch-Iraner Jamshid Sharmahd dasselbe Schicksal. Er wurde 2020 während einer Geschäftsreise in Dubai entführt, in den Iran verschleppt und dort zum Tode verurteilt. Seine Hinrichtung kann jederzeit erfolgen.
Was kann man tun?
Wir müssen dieses Thema offen ansprechen. Das Regime hat mit seinen verschiedenen Instrumenten einen wahnsinnig großen Einfluss im Exil – und das auf höchsten Ebenen. Diesen Einfluss geschehen zu lassen, kann nicht die Lösung sein. Ich möchte dieses Thema vor allem für die Presse auf die Agenda holen und aufklären, mit was für einem Machtapparat wir es zu tun haben, der Kritikern, Aktivisten oder Journalisten bewusst Angst macht, damit sie schweigen. Deswegen sollten wir das Thema erst recht ansprechen, damit objektive Berichterstattung über zweifelhafte Machenschaften und Akteure stattfindet und Journalisten sich nicht einschüchtern lassen.
Bist du schon mal bedroht worden?
Ja. Wir Iraner in der Diaspora sind durch unsere Aktivitäten der ständigen Beobachtung und Bedrohung durch das Regime ausgesetzt. Es hat seine Leute überall. Anfang des Jahres erst wurde bekannt, dass es zum zweiten Mal einen Versuch gegeben hat, die bekannteste Aktivistin Masih Alinejad in den USA zu ermorden. Das sind Nachrichten, mit denen wir in der Diaspora leben müssen, wenn wir zu laut sind. Alinejad lässt sich aber nicht einschüchtern. Sie steht jetzt unter Polizeischutz und macht noch lauter weiter.
Hast du Angst?
Nein, meine Familie und ich standen auch schon unter Polizeischutz. Es ging damals um unmittelbare Bedrohung und Verfolgung durch den bekannten Bandenführer Ramin Yektaparast, der heute mit einem internationalen Haftbefehl gesucht wird und in den Iran abgetaucht ist. Die Iraner, die mit diesem System vertraut und aufgewachsen sind, wissen, wozu das Regime fähig ist. Ich verstehe, dass das jeder für sich abwägen und einschätzen muss, wenn es auch um die Sicherheit der eigenen Familie geht. Aber ich recherchiere weiter und arbeite daran, die Gräueltaten des Islamischen Republik sichtbar zu machen. Ich weiß, dass Propaganda und Verfolgung ihre mächtigsten Instrumente sind. Und ich habe keine Angst.
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