Der iranischstämmige politische Aktivist Behrouz Asadi hat mit einigen MitstreiterInnen eine Initiative ins Leben gerufen, um IranerInnen zu helfen, die bei den Protesten im Land verletzt wurden. Wie europäische Staaten und Ärzt*innen diesen Menschen helfen können, erklärt Asadi im Interview mit dem Iran Journal.
Herr Asadi, Sie haben eine Initiative gestartet, um Menschen zu helfen, die bei den Protesten im Iran verletzt wurden. Gibt es im Iran nicht genügend medizinische Versorgung?
Behrouz Asadi: Seit Monaten bekämpft das iranische Regime die Protestbewegung mit zunehmender Brutalität. Gegen Demonstrierende wurden und werden neben Schusswaffen häufig Druckluft- und Schrotgewehre mit unterschiedlichen Projektilen eingesetzt, die ebenfalls tödlich wirken können, zumeist aber zu schweren Verletzungen führen. Es wird häufig gezielt auf die Köpfe geschossen, was oft zu schweren Augenverletzungen führt. In vielen Fällen sind die Verletzten Frauen, die bei den Protesten eine zentrale Rolle spielen. Erstbehandlungen werden durchaus in iranischen Krankenhäusern durchgeführt, wobei die Ärztinnen und Ärzte selbst erhebliche Risiken in Kauf nehmen und bedroht werden. Daneben gibt es informelle Hilfseinrichtungen, die tun, was sie können. Aufwändige Operationen, die erhebliche Risiken beinhalten, sind jedoch meist nicht möglich. Denn die „Sicherheitskräfte“ suchen nach den aus der Erstbehandlung Entlassenen. Sichtbar Verletzte werden zum Teil auf offener Straße aufgegriffen.
Wer gehört außer Ihnen zu den Initiator*innen?
Die Initiative wurde von Karl Kopp, Bernd Mesovic, Javad Adineh und mir ins Leben gerufen. Wir arbeiten schon seit langem zusammen. Nun wollen wir versuchen, Mitstreiter*innen aus dem Spektrum der medizinischen Berufe zu finden. Zwar ist es nicht allein Sache der Mediziner*innen, das Nötigste für die Patient*innen zu tun, sondern die Aufgabe aller Engagierten. Aber die Stimme und Arbeit der Mediziner*innen hat Gewicht. Es wäre wünschenswert, wenn auch NGOs, Kirchen und andere Institutionen die Initiative unterstützten.
Ist bekannt, wie viele Verletzte die landesweiten Proteste hinterlassen haben?
Iranische Oppositionskreise schätzen allein die Zahl der Personen mit schweren Augenverletzungen auf bis zu 1.000.
Nach unseren Informationen sind einige der Verletzten schon in Nachbarländern des Iran. Wird ihnen dort nicht geholfen?
Richtig. Viele Betroffene haben sich den staatlichen Bedrohungen durch die Flucht in Drittstaaten entzogen, in die sie ohne Visum einreisen können. Wie viele Menschen sich in Drittstaaten aufhalten, lässt sich schwer einschätzen. Uns sind Fallmeldungen aus Tadschikistan, Georgien, Armenien, Aserbaidschan und der Türkei bekannt. In der Regel finden sie dort aber keine Möglichkeiten, sich weiterbehandeln und ärztlich dringend indizierte Operationen vornehmen zu lassen. Die meisten Fälle gibt es offenbar in der Türkei. Dort ist das medizinische System durch die Folgen des schweren Erdbebens auf absehbare Zeit hinaus überlastet, sein Wiederaufbau ein Projekt von unabsehbarer Dauer. Einige verletzte Iraner*innen haben auf eigene Faust EU-Staaten erreicht. Vielen anderen ist die Flucht außer Landes noch nicht gelungen. Wir gehen davon aus, dass es einige Hundert Menschen sind, die dringend auf Hilfe angewiesen sind, die vor Ort kaum geleistet werden kann. Sie haben größtenteils Schussverletzungen an Augen, Hals und Brust. An erster Stelle steht die medizinische Versorgung. Aber sie brauchen auch Schutz, weil sie Opfer eines Terrorregimes sind. Sie sind mittellos und fliehen zum Teil aus dem Iran, um sich ohne Stress und Verfolgung behandeln zu lassen. Sie erwarten von der Weltgemeinschaft, dass ihre humanitären Anliegen positiv aufgenommen werden.
Was erwarten Sie von den Europäern?
Wir fordern die EU-Staaten auf, Schwerverletzte mit dringendem Weiterbehandlungsbedarf insbesondere aus der Türkei in einem schnellen und unbürokratischen Verfahren aufzunehmen und die adäquate Versorgung der Verletzungen zu ermöglichen. Nur unverzügliches Handeln verhindert, dass Menschen, deren Wunden behandelbar wären, durch eine verzögerte oder nicht erfolgte Behandlung auf Dauer geschädigt werden, ihr Augenlicht verlieren oder sogar sterben. Die Sympathie, die die Staaten der EU gegenüber der iranischen Protestbewegung gezeigt haben, muss die Bereitschaft einschließen, den Opfern konkret zu helfen, wo dies aktuell möglich ist. Ein kleiner Teil der Opfer schafft es ins Ausland, trotz der vielen Risiken und hohen Kosten. Der Großteil der unschuldigen Opfer sitzt weiterhin im Iran fest. Diese sind dringend auf humanitäre Hilfe angewiesen, eine Behandlung im Ausland muss ermöglicht werden. Ein humanitäres Visum, das die verschiedenen EU-Botschaften zur Behandlung ausstellen könnten, wäre ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.♦
Behrouz Asadi ist politischer Aktivist, Migrationsexperte und Leiter des Mainzer Hauses der Kulturen. behrouz.asadi@malteser.org.
Zweitveröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des IranJournal
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