Die Revolutionsgarde ist ein «Staat im Staate»
Von Hamid Mohseni, Rosa-Luxemburg-Stiftung
Der Sicherheitsapparat der Islamischen Republik Iran (IRI) ist komplex und verwoben. Im Epizentrum der Macht stehen die Revolutionsgarden, die sämtliche innen- wie außenpolitische Einsätzen steuern und dabei immer mächtiger werden.
Einheiten der Revolutionswächter bei einer Militärparade in Teheran, CC BY 4.0, Mohammad Sedagh Heydari via Wikimedia Commons
Die «Armee der Wächter der Islamischen Revolution» (IRGC) schützt das von Khomeini eingeführte System der «Herrschaft des Obersten Rechtsgelehrten» und damit das Fundament der Mullahs. Als zentraler Akteur haben sie weitreichenden und kaum zu unterschätzenden militärischen, politischen und ökonomischen Einfluss auf allen Ebenen. Am 5. Mai 1979 gründete Khomeini das IRGC, um verschiedenste paramilitärische islamistische Gruppen in einer ideologisch verlässlichen Organisation zusammenzuführen. Er traute der regulären iranischen Armee nicht, die er als dem Schah nahestehend wahrnahm und daher einen Putsch fürchtete.
Das IRGC verfügt über ein komplexes und im ganzen Land verteiltes Netz an Infrastruktur für seine sämtlichen außenpolitisch und innenpolitisch aktiven Abteilungen. Dazu zählen außenpolitisch die Elitetruppe der Quds-Einheit, ein eigene Luftwaffe, Marine, Bodentruppen, Nukleareinheiten sowie die Verantwortung für das iranische Raketenprogramm. Das IRGC ist ausführender Arm und nicht selten Strippenzieher für die zahlreichen Verwicklungen der Islamischen Republik Iran (IRI) in der Region. Innenpolitisch verfügt das IRGC über einen eigenen Geheimdienst und kontrolliert die Basidsch-Volksmiliz. Keine Aktion der IRI im In- wie Ausland läuft ohne das Zutun des IRGC.
IRGC: Politische und ökonomische Macht
Die militärische Hegemonie des IRGC geht einher mit einer umfassenden politischen Einflussnahme. Die fundamentalistischen Lehren der Mullahs sind der ideologische Überbau der IRI. Die Mullahs besetzen auch die wichtigsten Ämter. Aber auch das IRGC verfügt über eine wachsende Macht, was hin und wieder zu Uneinigkeit in der sonst um Harmonie bemühten Staatselite führt. Prominentestes Beispiel ist die Präsidentschaft Ahmadinedschads (2005 bis 2013), eines ehemaligen IRGC-Mitglieds. Die Mehrheit seines ersten Kabinetts bestand aus IRGC-Veteranen, ein Drittel aller Parlamentarier waren ebenfalls Pasdaran. Auch heute sind viele Kabinettsmitglieder aus dem IRGC, im Parlament sind es sogar zwei Drittel aller Mitglieder.
In Ahmadinedschads Zeit fiel auch die «Grüne Bewegung», die sich ursprünglich gegen dessen Wiederwahl 2009 formierte und die IRI vor eine existentielle Bedrohung stellte. Nur das IRGC und die Basidsch-Milizen haben durch massiven Einsatz von Gewalt diese Bewegung gestoppt und die IRI gerettet. Beobachter*innen sehen darin eine Art «weichen Putsch» innerhalb des Staates, der die Position des IRGC noch weiter gestärkt hat. Lange Zeit galt der von den USA getötete Chef der Quds-Einheit Soleimani als Nachfolger für den Posten des Revolutionsführers.
Das IRGC hat nicht nur politisch wichtige Ämter besetzt, sondern sich nach und nach ein ökonomisches Imperium aufgebaut. In nahezu allen Sektoren verfügt es über Konglomerate an Unternehmen, Finanzinstituten sowie Infrastrukturen, insbesondere in der für die iranische Wirtschaft zentralen Öl-, Gas- und Petrochemie-Industrie, aber auch in der Telekommunikation und im Bau- und Logistikbereich. Das IRGC hat seine Anteile in den mächtigen Boniads erweitert, korrupte NGO-artige Stiftungen mit Charity-Anstrich, die ca. 20 Prozent des iranischen Bruttoinlandsproduktes ausmachen.
Aufstandsbekämpfung: Polizei, Bassij-Miliz und zivile Einheiten
Die Basidsch-Milizen («Mobilisierung») sind die wichtigste Einheit des IRGC für innenpolitische Angelegenheiten. Sie entstand in der Anfangszeit der IRI, als sich Khomeini nach einer rasch mobilisierbaren Armee von «20 Millionen Iranern» sehnte. Der Artikel 151 der Verfassung der IRIwurde vermutlich für diese Volksmiliz verfasst; sie besagt, dass die Regierung eine islamische, militärische Ausbildung für alle Bürger bereitstellen muss.
Zusammen mit der Polizei sind sie in erster Linie verantwortlich für Aufstandsbekämpfung. Dementsprechend verhasst sind sie in der Bevölkerung; vor allem die Basidsch werden als ideologische Kettenhunde des Regimes gesehen, da sie sich zu einem großen Teil freiwillig anschließen. Dabei werden sie sehr flexibel eingesetzt; bei der Zerschlagung des Busfahrer*innenstreiks von 2005 bis 2006 fuhren Basidschis Busse, um den Nahverkehr nicht zusammenbrechen zu lassen.
Eine weitere Gruppierung für die Aufstandsbekämpfung ist die informelle Einheit der «Lebas Shakhsi», die «zivil Gekleideten». Sie sollen die «Drecksarbeit» erledigen, dementsprechend treten sie auf: häufig organisiert als Mob von bärtigen Männern mit aufgeknöpften Hemden, vulgärer Rhetorik und mit Eisenstangen, Messern und Pistolen bewaffnet, von denen sie auch Gebrauch machen.
Rekrutierung aus Armenvierteln
Polizei und Basidsch-Milizen sind dezentral in unterschiedlichen Stationen und Kasernen untergebracht. Die iranischen Behörden selbst beziffern alleine die volle Mobilisierungsfähigkeit der Basidsch auf einen zweistelligen Millionenbereich, vermutlich sind es eher mehrere Hunderttausend, die dabei auch andere, zivile Aufgaben wie Katastrophenschutz übernehmen. Bei besonders großen Protestwellen wie der aktuellen revolutionären Bewegung nutzt der IRGC die regionale Vernetzung und lässt Einheiten aus dem nahegelegenen Ausland – wie die Hisbollah aus dem Libanon oder die Hashd-al-Shaabi-Miliz aus dem Irak – zur Unterstützung hinzuholen.
Diese Unterstützung ist einerseits wichtig, weil der Repressionsapparat tatsächlich an seine Kapazitätsgrenzen kommt. Andererseits ist sie aber auch wichtig, um die eigene Truppe ideologisch auf Linie zu halten. Bereits jetzt achten die Befehlshaber penibel darauf, dass die iranischen Einheiten nicht an ihrem Wohnort eingesetzt werden, da der Bruch mit dem Regime sich auch durch ihre Familien und Freundeskreise zieht. Das Narrativ des vom westlichen Agenten gesteuerten Vandalismus lässt sich schließlich nicht aufrechterhalten, wenn Polizist*innen und Basidschis plötzlich ihre eigenen Verwandten auf der anderen Seite der Barrikade sehen.
Schließlich rekrutieren IRGC, Polizei und Basidschis mit großer Mehrheit aus den Armenvierteln und den dort stark frequentierten islamischen Seminaren und locken mit Privilegien wie Zugang zu Bildung, Wohnungs- und Gesundheitsmarkt – doch seit 2017/2018 sind auch diese Menschen gegen die IRI auf der Straße. Auch vor diesem Hintergrund hilft der Einsatz ausländischer Verbündeter; sie haben keinerlei Bezug zu den Menschen im Iran bzw. stehen ihnen gegenüber auf Grund tradierten rassistischen Denkens sogar feindselig gegenüber.
Hamid Mohseni ist im Iran geboren und in Deutschland aufgewachsen. Seit 2009 verfolgt er die Entwicklungen im Iran und beteiligt sich an linken Solidaritätsinitiativen, die die demokratischen und sozialen Proteste dort kritisch begleiten.
Zweitveröffentlichung (Original) mit freundlicher Genehmigung der Rosa-Luxemburg-Stiftung
Comentarios