2022 wurden laut Amnesty International mindestens 883 Menschen hingerichtet. So viele wie seit fünf Jahren nicht mehr. Besonders viele starben im Iran und Saudi-Arabien - auch politische Gefangene.
Helge Limburg kann sich noch genau an den 7. Januar erinnern. Für den Bundestagsabgeordneten der Grünen war dieser Tag ein "Tag der Trauer und der Wut". Es war der Tag, an dem im Iran Mohammad Mehdi Karimi hingerichtet wurde. Der Karate-Champion war gerade mal 22 Jahre alt, als er "ermordet" wurde, wie Limburg es gegenüber der DW ausdrückt, "weil es kein rechtstaatliches Verfahren gab".
Helge Limburg hat Mohammed Mehdi Karimi nicht persönlich gekannt. Aber der Grünen-Politiker hatte eine Patenschaft für den jungen Iraner übernommen. Als politischen Akt, aus Solidarität mit der Demokratiebewegung im Iran - und vor allem in der Hoffnung, sein Einsatz könnte die Hinrichtung Karimis abwenden. Trotz der Distanz und obwohl er noch nicht einmal die Gelegenheit zu einem Telefonat mit Karimi hatte, berichtet Limburg von einem persönlichen Verhältnis, das sich entwickelt hatte. "Ich hatte vereinzelt Kontakt zu seinem Umfeld und habe mich ihm schon sehr nahe gefühlt. Auch meine Familie hat mitgefiebert und mitgelitten", sagt Limburg.
Todesstrafe exzessiv: Iran und Saudi-Arabien
Mohammed Mehdi Karimi ist einer von mindestens 209 Menschen, die im Iran nach Angaben von UN-Menschenrechtskommissar Volker Türk bereits in diesem Jahr zum Galgen geführt wurden.
Der Iran gehört zu den exzessivsten Anwendern der Todesstrafe weltweit. Das spiegelt sich wider im neuesten Bericht der Menschenrechtsorganisation Amnesty International über Todesurteile und Hinrichtungen 2022. Im vergangenen Jahr wurden im Iran von Staats wegen mindestens 576 Menschen getötet - fast doppelt so viele wie noch 2021. "Im Iran fürchtet das Regime um seine Macht", analysiert Renata Alt. Die FDP-Politikerin ist Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe. "Deswegen ist es wichtig, dass wir mit politischen Patenschaften Aufmerksamkeit für die vielen Inhaftierten erzeugen. Sonst würden wahrscheinlich noch mehr Menschen hingerichtet werden", ergänzt Alt in einem schriftlichen Statement gegenüber der DW.
Aber auch auf der anderen Seite des Persischen Golfs schnellte die Zahl der Getöteten nach oben: In Saudi-Arabien starben 2021 durch das Schwert des Henkers 196 Menschen. "An einem einzigen Tag hat Saudi-Arabien sage und schreibe 81 Menschen hingerichtet", führte Amnesty-Generalsekretärin Agnès Callamard bei der Vorstellung des Berichts aus. Iran und Saudi-Arabien sind damit zusammen für mehr als 80 Prozent der registrierten Hinrichtungen weltweit verantwortlich.
Geköpft, gehängt, erschossen, vergiftet
Insgesamt wurden 2022 mindestens 883 Menschen geköpft, gehängt, erschossen, vergiftet - in 20 Ländern. So viel, wie seit fünf Jahren nicht mehr. Die Zahl der Hinrichtungen hat damit gegenüber 2021 deutlich zugenommen: Eine Steigerung des Grauens um mehr als 300 Fälle oder über 50 Prozent. Und dabei sind die vermutlich in die Tausende gehenden Hinrichtungen in China noch nicht einmal Teil der Todes-Statistik: China behandelt die Zahl der Exekutionen als Staatsgeheimnis. Das Gleiche gilt für Vietnam. Und auch aus Nordkorea, wo die Todesstrafe vermutlich exzessiv angewandt wird, gibt es keine Zahlen.
Zu den Ländern, die von Staatswegen töten, gehören auch Staaten, die von Deutschland gerne als Partner bezeichnet werden, etwa Japan, die USA, Singapur. Wenn Boris Mijatovic, Sprecher im Bundestagsausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe, gegenüber Vertretern dieser Länder gegenüber Kritik an der Todesstrafe äußert, begegnet ihm oft eine von zwei Reaktionen: "Entweder sind die Gesprächspartner verlegen und schuldbewusst oder sie treten sehr selbstbewusst auf im Sinne von 'was willst du Westler mir da erzählen?'", sagt der Grünen Bundestagsabgeordnete im DW-Gespräch. "Gerade in der Golfregion oder im asiatischen Raum oder eben auch in Nordamerika, wo das ein sehr altes Thema ist, muss man sehr ideenreich sein, um weiterzukommen", fährt Mijatovic fort und sieht die deutsche Politik in der Pflicht: "Wir sind aufgerufen, diese Debatte weiterzuführen! Vor allem in Ländern, wo die Todesstrafe nicht allein für schwerste Verbrechen verhängt wird, sondern auch für ganz andere Verbrechen. So wie im Iran: 'Verbrechen gegen Gott' - das ist schon sehr, sehr fragwürdig!".
Tod wegen Drogenhandels
Nach Angaben des Amnesty Berichts sind weit über ein Drittel aller festgestellten Hinrichtungen wegen Drogenhandels erfolgt. "Dass manche Länder die Todesstrafe im gewöhnlichen Strafrecht haben und anwenden, verstößt gegen die allgemeine Erklärung der Menschenrechte und gegen internationales Recht", betont Renata Alt. Denn das verbietet ausdrücklich die Todesstrafe für Straftaten, die nicht die Schwelle der "schwersten Verbrechen" erreichen, zum Beispiel vorsätzlicher Mord. Die Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses ist zudem überzeugt, dass die Hinrichtung von Straftätern keine abschreckende Wirkung hat. "Sie führt nicht zu weniger Mordfällen und auch nicht zu weniger Drogenkriminalität", so die FDP-Abgeordnete.
In diesem düsteren Gesamtbild gibt es doch so etwas wie einen Hoffnungsschimmer: Weitere sechs Staaten haben 2022 die Todesstrafe abgeschafft, ganz oder zumindest teilweise. Vor allem in Afrika drehte sich das Blatt: Sierra Leone und die Zentralafrikanische Republik schafften die Todesstrafe vollständig ab; Äquarorial Guinea und Sambia weitestgehend. Und Liberia und Ghana stecken immerhin schon in den Vorbereitungen zur Abschaffung der Todesstrafe. Bis Ende 2022 hatten sich insgesamt 112 Staaten vollständig von der Todesstrafe verabschiedet! Und fast zwei Drittel aller Mitglieder der Vereinten Nationen, nämlich 125 Länder, stimmten im Dezember für ein Moratorium für die Anwendung der Todesstrafe. Vielleicht läuft die Zeit ja langsam ab für die Todesstrafe.
Von Matthias von Hein
Zweitveröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Deutschen Welle
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